Frankreich:Macrons Makel

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Frankreichs Reformpräsident Emmanuel Macron könnte für die wirtschaftliche Erneuerung des Landes dringend starke Gewerkschaften als Partner gebrauchen. Er aber verpasst die Chance und sorgt dafür, dass die Gewerkschaften schwach und krawalllustig bleiben.

Von Leo Klimm

Zu den populären Irrtümern über Frankreich gehört, es habe starke Gewerkschaften. Bilder von brennenden Barrikaden und lahmgelegten Zügen machen eben Eindruck. In den nächsten Wochen werden wieder solche Szenen zu sehen sein. Doch die Bilder trügen: Frankreichs Gewerkschaften vertreten nur zehn Prozent der Erwerbstätigen, spielen außerhalb von öffentlichem Dienst und Staatsbetrieben keine Rolle und sind überdies zerstritten. Politische Streiks, Krach und Krawall sind in Wahrheit Zeichen ihrer Schwäche. Sie haben kaum andere Mittel, Einfluss zu nehmen. Und sie kennen es nicht anders.

Der Reformpräsident Emmanuel Macron hätte die Chance, den Gewerkschaften eine neue, konstruktive Rolle aufzuzeigen. Sie herauszuholen aus der Konfrontation, indem er ihnen echte Verantwortung in Unternehmen zubilligt. Indem er sie tatsächlich stark macht. Wer Frankreich wirtschaftlich erneuern will, muss auch seine Wirtschaftskultur modernisieren.

Doch Macron ist dabei, diese Chance zu vergeben. Schlimmer noch, der junge Präsident forciert auf einem Nebenschauplatz die Auseinandersetzung nach altem Schema: In den nächsten Monaten wird er mittels Verordnungen eine Bahn-Reform ins Werk setzen, die bis vor Kurzem nicht zu seinen Prioritäten gehörte, aber zuverlässig die Reflexe der Gewerkschaften provoziert und einen scharfen Streit um Privilegien im Staatsdienst ermöglicht.

In diesem symbolisch und emotional aufgeladenen Konflikt kann sich Macron, dessen politische Identität in der Durchsetzungsfähigkeit als Reformer gründet, kein Zurückweichen erlauben. Er sucht bewusst eine Entscheidung, in der es nur einen strahlenden Sieger und gedemütigte Verlierer geben kann. Und radikale Gewerkschaften wie die kommunistisch geprägte CGT nehmen diesen Fehdehandschuh dankbar auf. Wenn sie an diesem Donnerstag - exakt 50 Jahre nach Beginn der Pariser 68er-Revolte - neue, monatelange Proteste starten, können sie das zum Entscheidungskampf stilisieren. Sie liegen, jedenfalls was ihre eigene Bedeutung angeht, damit nicht so falsch.

Macron wurde vor bald einem Jahr gewählt, weil er die überkommene Links-rechts-Spaltung in Frankreichs Politik überwand. Er traf damit einen Nerv. Auch im Wirtschaftsleben sind viele Franzosen die Streit- und Streikrituale leid. Vor Beginn des Konflikts um Bahn und öffentlichen Dienst stehen sie zwar mehrheitlich hinter dem Staatschef. Sie wünschen sich aber auch eine aktivere Rolle reformbereiter Gewerkschaften wie der CFDT.

Der Präsident braucht starke Partner, aber er hält die Gewerkschaften schwach

Der Präsident jedoch hält die Arbeitnehmerorganisationen offenkundig für zu schwach legitimiert und für nicht veränderungsfähig. Er will Frankreich lieber allein verändern. Der "soziale Dialog", den seine Regierung seit Herbst aufführt, gleicht einem Versuch, die Gewerkschaften mit Detailfragen einzulullen, während die Entscheidungen feststehen. Da fühlen sich auch reformbereite Kräfte getäuscht.

Macron hat recht: Sein Land braucht weitere Reformen. Er weiß auch, welche wirklich dringlich sind. Etwa die Reform der Berufsbildung, um die Unterqualifizierung vieler junger Menschen im Hochlohnland Frankreich zu beheben. Macron fiele es leichter, solche strukturellen und kulturellen Probleme der Wirtschaft zu lösen, hätte er starke, dialogfähige Partner. Er aber sorgt dafür, dass die Gewerkschaften schwach und krawalllustig bleiben. Das ist ein echtes Handicap für Frankreich.

© SZ vom 22.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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