Frankreich:Kampf gegen Kippen

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68 Euro, das ist in Paris ab sofort der Tarif für die Frevel des Alltags: für das ausgespuckte Kaugummi, für den hinterlassenen Hundehaufen, für das Wegschnippen von Zigaretten.

Von Christian Wernicke

Meist kommen sie zu zweit, immer in Zivil. Und sie wissen genau, wo sie ihre Kundschaft finden: vorm Eingang zum Einkaufszentrum, neben dem Restaurant mit der kleinen Raucher-Terrasse oder an der Bushaltestelle. Die Pariser Hygiene-Inspektoren müssen nie länger als ein, zwei Minuten warten, schon geht ihnen der nächste Sünder ins Netz. Die Hausfrau, die unauffällig ihre Zigarette fallen lässt, oder der junge Mann mit den Kopfhörern, der lässig seine Kippe in den Rinnstein flippt - beide sind sie dran. Mit einer Belehrung über städtische Sauberkeit - und einer Geldbuße von 68 Euro.

68 Euro, das ist in Frankreichs Hauptstadt ab sofort der Einheitstarif für die kleinen Frevel des Alltags: für das ausgespuckte Kaugummi, für den hinterlassenen Hundehaufen, für das dreiste Wasserlassen eines Zweibeiners in dunklen Ecken. Das neue, teure Regime gilt seit Anfang Oktober, seither sind rund um die Uhr 96 städtische Beamte in der Millionen-Metropole unterwegs, um ihre Mitbürger zu mehr Sauberkeit zu erziehen. Denn die Stadt der Liebe und des Lichts bangt um ihr Image: Nicht nur die Pariser, auch viele der jährlich mehr als 40 Millionen Touristen nerven die hündischen Tretminen auf dem Trottoir, das Urin-Odeur in der Metro, die allgegenwärtigen Zigarettenstummel.

Die leidigen Kippen (Stückgewicht 0,2 Gramm) sind das beste Beispiel, wie sich all der Kleindreck zu einem erdrückenden Problem auswächst. Die Überreste von 1,6 Milliarden Zigaretten landen laut Schätzung der Stadtverwaltung jedes Jahr statt im Mülleimer auf Asphalt und Pflaster der Hauptstadt. Das addiert sich zu 350 Tonnen Gewicht, mit einem Volumen von 800 000 Kubikmetern. Was das bedeutet, hat der Parisien in einer Grafik veranschaulicht: Aufgetürmt würden die Stummel die gesamte Kathedrale von Notre-Dame unter sich begraben.

Im Kampf gegen die Kippen setzt das Rathaus von Paris nicht allein auf Repression. Seit Jahren versucht die sozialistische Stadtverwaltung, die Citoyens zu mehr Sauberkeit zu erziehen. "Paris ist keine schmutzige Stadt", belehrt Mao Péninou, der für Müllabfuhr und Straßendreck zuständige Beigeordnete, "sondern eine verschmutzte Stadt." Selbst flehende Straßenfeger-Appelle auf bunten Plakaten ("Wir tun unser Möglichstes, aber nicht das Unmögliche") verhallten. In einer zweiten Stufe ließ das Rathaus 30 000 Papierkörbe mit Metallflächen zum Ausdrücken der Zigaretten nachrüsten, rein statistisch ein öffentlicher Aschenbecher pro 100 Straßenmeter.

Doch es half nichts, die Kippen flogen weiter. Das lag auch daran, dass die Stadt lange Zeit die falschen Sünder im Visier hatte: Die Hälfte jener 25 000 Strafmandate, die voriges Jahr von der Pariser Stadtreinigung verteilt wurden, traf nicht etwa Schmutzfinken - sondern Bürger, die ihre Mülltonnen zu lange auf dem Bürgersteig hatten stehen lassen.

Nun also kehrt Paris mit neuem, eisernem Besen. Doch selbst da Geldbuße und Sühne das Straßenleben regieren, müht sich die Stadt an der Seine um etwas Rest-Charme. Mit dem Zahlschein über 68 Euro überreichen die Inspektoren den ertappten Kippensündern eine praktische Lebenshilfe: einen Taschenaschenbecher.

© SZ vom 05.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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