Frankreich:In Paris regiert das Misstrauen

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Hollandes Sozialisten verlieren ihre parlamentarische Mehrheit, nachdem einige Rebellen aus den eigenen Reihen angekündigt haben, die Arbeitsmarktreformen nicht unterstützen zu wollen.

Von Christian Wernicke, Paris

Frankreichs sozialistische Regierung hat offenbar endgültig ihre eigene parlamentarische Mehrheit verloren: Weil eine Gruppe linker Parteirebellen die Zustimmung zur geplanten Lockerung der 35-Stunden-Woche und des Kündigungsschutzes zu blockieren drohte, sieht sich das Kabinett von Premierminister Manuel Valls an diesem Donnerstag in der Nationalversammlung einem Misstrauensvotum ausgesetzt. Zwar zeigte sich die Regierung am Mittwoch zuversichtlich, die Machtprobe mit der konservativen Opposition und linken "Frondeuren" zu überstehen. Sprecher der Dissidenten im Parlament sowie sieben linke Gewerkschaften geißelten die Taktik der Regierung als "Provokation" und "politischen Gewaltakt". Sie kündigten neue Demonstrationen gegen die Reform an.

Premier Valls hatte sich am Dienstag entschlossen, zur Durchsetzung der Schlüsselreform eine Sonderregel der Verfassung zu nutzen: Der Artikel 49.3 erlaubt, einen Gesetzentwurf ohne Abstimmung - also ohne eigene Mehrheit - durch das Parlament zu boxen; im Gegenzug kann die Opposition die Vertrauensfrage stellen und so versuchen, die Regierung zu stürzen. Dies gelang in der V. Republik bei bisher 105 Anläufen gemäß Artikel 49.3 nur ein einziges Mal. Als Oppositionspolitiker hatten Valls wie auch Präsident François Hollande früher die Sonderregel als "Brutalität" und als "Verweigerung der Demokratie" gebrandmarkt.

Die konservativen Republikaner präsentierten zwar noch in der Nacht zum Mittwoch einen Misstrauensantrag. Um die absolute Mehrheit von 288 der 574 Abgeordneten zu erreichen, benötigen die Republikaner (196 Mandate) und die mit ihnen verbündeten Zentristen der UDI (30) 62 Stimmen aus den Reihen der "Frondeure" der sozialistischen Partei (PS), der Grünen oder der linksextremen "Front de gauche". Zwar kündigten einige "Linksfrontler" an, aus Ärger über den "neoliberalen Kurs" von Hollande mit der Rechten zu stimmen. Hingegen warnte der Sprecher der PS-Dissidenten, der Abgeordnete Christian Paul, vor "einer solchen Verwirrung: Wir können nicht mit der Rechten stimmen". Auch andere PS-Frondeure erklärten, sie könnten keinem Misstrauensantrag der Republikaner zustimmen, weil diese "eine noch radikalere Reform wollen".

Dennoch hat der Streit ums Arbeitsrecht den Bruch in der sozialistischen Partei noch weiter vertieft. Ein Symptom für dieses Zerwürfnis war der Versuch der PS-Rebellen, in stundenlangen Beratungen einen eigenen, linken Misstrauensantrag gegen die sozialistische Regierung auf den Weg zu bringen. Am Mittwochnachmittag musste die Linke ihren Affront aufgeben: Sie brachte nur 56 statt der erforderlichen 58 Abgeordnete für einen eigenen Misstrauensantrag zusammen. Die zuständige Arbeitsministerin Myriam El Khomri verwahrte sich gegen Vorhaltungen der Linken, das Vorgehen der Regierung sei undemokratisch. Die Regierung habe vergeblich Kompromisse gesucht: "Wenn wir jetzt jedoch hingenommen hätten, dass zehn Prozent der sozialistischen Abgeordneten diesen Gesetzestext entstellen - dann wäre das undemokratisch gewesen."

Sieben Gewerkschaften wollen nächste Woche wieder streiken - Hollande ficht das nicht an

Die linke Bewegung "Nuit debout", die seit Ende März auf der Place de la République in Paris allnächtlich gegen den Kurs der Regierung protestiert, kündigte am Mittwoch neue Aktionen an. Anhänger der Sponti-Bewegung skandierten Slogans, die Nationalversammlung sei nur noch "eine Versammlung des Kapitals". Sieben linke Gewerkschaften kündigten an, am Dienstag und Donnerstag kommender Woche zu streiken. Sie forderten erneut eine "bedingungslose und komplette Rücknahme" des Gesetzesentwurfs.

Hollande hat einen solchen "Rückzug" abgelehnt. Er hofft, mit einer Liberalisierung des starren Arbeitsrechts mittelfristig mehr Jobs zu schaffen. Nach massiven Protesten auch gemäßigter Gewerkschaften hatte die Regierung ihren Gesetzentwurf überarbeitet: So verzichtete Premier Valls darauf, Abfindungen für entlassene Arbeitnehmer zu "deckeln". Auch werden betriebsbedingte Kündigungen weniger gelockert als zunächst beabsichtigt. Der Kern der Reform blieb jedoch derselbe: Künftig sollen Belegschaften in den Betrieben flexiblere Regeln zur Arbeitszeit oder Lohnausgleich mit ihren Unternehmern aushandeln dürfen. Notfalls sollen die Arbeitnehmer diese Kompromisse per Abstimmung gegen die Gewerkschaft durchsetzen können - was eine Schwächung der linken Syndikate bedeuten würde.

© SZ vom 12.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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