Frankreich:Französische Politiker ähneln Pfandflaschen

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In anderen Ländern treten Politiker nach einer Wahlniederlage für immer ab - in Frankreich nicht. Hier kehren die Präsidentschaftskandidaten wieder und erhalten eine Kaste, die abgehoben von den Bürgern regiert.

Kommentar von Christian Wernicke, Paris

Es steht nicht gut um die französische Demokratie. Ein tiefer Graben trennt Regierte und Regenten. Wie tief dieser Abgrund ist, verdeutlicht eine Zahl: 80 Prozent. Acht von zehn Franzosen wollen laut Umfragen auf keinen Fall, dass man sie bei der Präsidentschaftswahl 2017 vor dieselbe Wahl stellt wie 2012: François Hollande, der Amtsinhaber, gegen Vorgänger Nicolas Sarkozy? - Nein danke.

Nur, genau so dürfte es kommen. So stehen die Wetten in Paris: Hollande gegen Sarkozy, zum Zweiten. Die nächste Kampagne als Rückspiel der letzten. Das Feld der sattsam bekannten Kandidaten dürften noch zwei, drei weitere Bewerber komplettieren, die schon 2012 vergeblich ihr Glück versuchten. Überall dieselben Gesichter und dasselbe Versprechen - dass mit ihnen, den Altgedienten, alles anders wird.

Möglich ist dieses triste Déjà-vu aus einem simplen Grund: Wahlniederlagen bleiben in Frankreich ohne Folgen. Anderswo mögen sich die Verlierer wie selbstverständlich von der Bühne verabschieden. So tat es im Mai der Brite Ed Miliband mit gerade mal 45 Jahren. Demselben ungeschriebenen Gesetz muss sich jeder gescheiterte Präsidentschaftskandidat in den USA unterwerfen. Auch in Deutschland wird es zur Sitte, dass der Zweitplatzierte zur Seite tritt - und Platz macht für andere. Das galt unlängst zum Beispiel für Peer Steinbrück (SPD).

In Paris kehren auch Abgewählte stets wieder - das schürt Verdruss

In Paris hingegen regiert "l'exception française", die ewige Ausnahme. Dort treten dieselben Kandidaten wieder und wieder an. Französische Politiker ähneln Pfandflaschen: Nach der verlorenen Wahl wirken sie wie Leergut - aber zum nächsten Urnengang tauchen sie wieder auf, frisch gefüllt und mit bunterem Etikett. Nostalgiker argumentieren, die Nation sei so schlecht nicht gefahren mit François Mitterrand oder Jacques Chirac: Beide Herren durften zweimal scheitern, ehe sie im dritten Anlauf den Élysée-Palast eroberten. Nur, inzwischen produziert diese personelle Kreislaufwirtschaft Stillstand: Dieselben, meist ergrauten Köpfe kultivieren dieselben, oft welken Ideen.

Dieses System hat eine fatale Neigung, sich selbst zu reproduzieren. In die Hallen der Macht dringt nur vor, wer früh auf die Kaderschmieden der Republik gelangt: Über beste Lycées schafft man es auf eine Elite-Uni. Dann folgt die Einschulung in die politische Klasse. Wer morgen regieren will, schuftet heute im Kabinett irgendeines Ministers. Man gewinnt Ziehväter, schließt sich Seilschaften an. François Hollande und sein Premierminister Manuel Valls, das aktuelle Gespann an der Staatsspitze, lernten auf diese Weise schon vor 30 und vor 15 Jahren jene Räume der Macht kennen, in denen sie heute residieren und regieren. Ein System wie eine Drehtür: Laurent Fabius, der Außenminister, war schon vor 31 Jahren Regierungschef. Und Ségolène Royal, die Umweltministerin, saß vor 23 Jahren schon einmal auf demselben Posten.

Unter den 577 Abgeordneten der französischen Nationalversammlung finden sich ein Handwerker, drei einfache Angestellte - und kein Arbeiter. Die Staatskaste bleibt unter sich, rechts wie links. Und sie überlebt, weil die meisten ihrer Mitglieder mehr als nur ein politisches Leben haben. Sie sind Abgeordnete und Bürgermeister, obendrein noch Regionalrat oder Parteifunktionär. Wer eine Wahl verliert, überwintert im anderen Amt. Und kommt wieder. Im Frühjahr 2017 tritt ein Gesetz in Kraft, dass diese Ämterhäufung eindämmen will. Nur, per Gesetz allein lässt sich kein Kulturbruch verordnen. Die Kandidaten für die Präsidentschaftswahl sind dann eh gekürt - aus den Reihen der "Unverzichtbaren". Auch Marine Le Pen tritt wieder an, die Vorsitzende des Front National. Auch sie, die Anführerin des Anti-Establishments, hat sich längst etabliert.

© SZ vom 23.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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