Frankreich:Die morschen Knochen durchschütteln

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Die Parteichefin Marine Le Pen sei nach der Wahlniederlage im vergangenen Jahr nicht mehr sie selbst, sagen Vertraute. (Foto: Bertrand Guay/AFP)

Front-National-Chefin Le Pen will nach der Wahlniederlage aus der Krise.

Von Leila Al-Serori, München

Ein paar Hundert begeisterte Front-National-Anhänger prosten sich mit Kirschbier zu. Das Mittagessen wird an langen Tafeln serviert, Wimpel stehen zur Dekoration herum, und als Entertainment-Programm mitten in der französischen Provinz gibt es: Marine Le Pen. "Schaut nur nach Calais, was da schon wieder passiert. Es sind Szenen wie bei einem Bürgerkrieg - und Macron tut nichts", tönt die Front-National-Chefin durch die Halle in Le Crest im zentralfranzösischen Puy de Dôme, die Menschen klatschen. Le Pen ist unter ihresgleichen, hier läuft das altbekannte Programm so erfolgreich wie eh und je. Sie muss nur die Proteste Anfang des Monats von Flüchtlingen in der Stadt am Ärmelkanal ansprechen, ein bisschen gegen den Präsidenten austeilen und schon kann sie punkten.

Dabei hat ihr Jahr ganz und gar nicht gut angefangen. Die Bank Société Générale kündigte dem Front National (FN) alle Konten, die Partei soll pleite sein. Wieder einmal. Le Pen selbst leide unter Rückenschmerzen, flüstern Vertraute den Medien zu. Sie sei nicht mehr sie selbst nach der herben Niederlage vergangenes Jahr. Zitterte Anfang 2017 noch das ganze liberale Europa vor der Möglichkeit, die Rechtsradikale könnte Frankreichs Präsidentin werden, ist sie seit Monaten von der medialen Bildfläche so gut wie verschwunden.

Nun will sich die Partei neu aufstellen, ein anderer Name soll wieder Strahlkraft bringen. Alle paar Wochen tourt Le Pen durch französische Kleinstädte, um die Basis zu besänftigen. Das Motto: "Vorwärts für einen neuen Front." Und so ist Le Pen an diesem Februartag im Puy de Dôme gelandet, um ihren Getreuen zu zeigen, dass sie noch über die alte Größe verfügt. Für die FN-Chefin geht es jetzt um die Vorherrschaft. Anfang März steht der Parteitag an - und auch wenn niemand gegen Le Pen kandidieren wird, so steht sie längst nicht mehr unangefochten da. Die parteiinternen Spannungen sind groß, die Niederlagen bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen von vergangenem Frühjahr schmerzen noch.

Macron machte die Wahl zur Abstimmung für oder gegen ein weltoffenes Frankreich

"Der Front National ist eine Partei, die in Zyklen funktioniert. Derzeit durchlebt er eindeutig eine Schwächephase", sagt der Frankreich-Experte Stefan Seidendorf vom Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. "Macron hat geschickterweise den gesamten Wahlkampf als eine Abstimmung für oder gegen ein weltoffenes Frankreich zugespitzt. Die Mehrheit hat sich für ihn entschieden - was Le Pen nachhaltig geschwächt hat."

Es mehren sich die Kritiker, die ihr fehlende Führungsstärke attestierten. Der interne Richtungskampf zwischen Pragmatikern und nationalistischen Hardlinern ist aufgeflammt. Ganz vorne dabei: der eigene Vater, der zwar aus der Partei ausgeschlossen wurde, aber immer noch Ehrenpräsident ist. Jean-Marie Le Pen will im März seine Memoiren veröffentlichen - und hat vorab angekündigt, auch gegen die Tochter auszuteilen.

Steht dem FN also eine Zerreißprobe bevor? "Es kann immer zu einer Spaltung der Partei kommen, das gab es in der Vergangenheit auch schon. Allerdings ist der Front National ein Familienunternehmen und dient hauptsächlich der Bereicherung der Le Pens", erklärt Seidendorf. Ganz ohne die Familie sei die Partei nicht vorstellbar. Sicher ist Marine Le Pens Stellung damit noch lange nicht. Schließlich werden auch ihrer Nichte Marion Maréchal-Le Pen Ambitionen nachgesagt. Diese soll bereits scherzhaft angemerkt haben: "Wenn man die Partei umbenennt, muss man auch Marine umbenennen. Oder können Sie sich Marine Le Pen an der Spitze einer Partei der Blumen vorstellen?"

Tatsächlich stößt die geplante Namensänderung einer Umfrage zufolge auf wenig Gegenliebe bei den Mitgliedern. Wobei noch gar nicht klar ist, wie die Partei künftig heißen soll. Eine Idee habe sie allerdings, sagte Le Pen der AFP. Sie wolle ohne "Front" auskommen, das klinge so militärisch. Auch sonst scheint unklar zu sein, wie die Erneuerung des FN ablaufen wird. Im März sollen beim Parteitag in Lille Le Pen als Chefin bestätigt und das neue Programm verabschiedet werden. Bei den Themen Europa und Sozialpolitik gehen die Positionen auseinander. Aus der Euro-Zone austreten will man nicht mehr. Bei der inneren Sicherheit kann sich Le Pen noch am ehesten profilieren, hier herrscht in der Partei Einigkeit.

"Le Pen will sich außerdem gesellschaftlich breiter aufstellen und Frauenthemen besetzen. Deshalb vermarktet sie sich selbst als moderne, berufstätige Frau", führt Seidendorf auf. Allerdings verknüpfe sie das Thema Gewalt gegen Frauen immer mit der Einwanderung, wenn sie beispielsweise muslimische Flüchtlinge als Gefahr für Französinnen anprangere. Jegliche inhaltliche Neuausrichtung dürfe also nicht darüber hinwegtäuschen, dass der rechtsradikale Kern der Partei gleich bleibe. Ebenso das Personal. "Das Skelett des Front National ist immer noch das alte", sagt Seidendorf.

Dass Le Pen durchaus mit den alten Parolen Stimmung machen kann, zeigt ihr Besuch im Puy de Dôme. Der Applaus klingt auf den Videos von der Veranstaltung fast so laut wie zu Zeiten des Wahlkampfs. Und das Wählerpotenzial ist trotz Schwächephase weiter da: Einer Umfrage zufolge würde der FN bei den Europawahlen 17 Prozent holen - auf Platz zwei hinter Macrons La République en Marche.

"Das Ende des Front National wurde schon oft ausgerufen", sagt Frankreich-Experte Seidendorf. "Aber die Gefahr ist nicht gebannt: Die Grundlage für den Erfolg der Partei ist die gesellschaftliche Spaltung in Frankreich - und die hat auch Macron trotz guten Starts nicht wieder gekittet."

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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