Frankreich:Das Versprechen des Präsidenten

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Ab sofort auch über Syrien im Einsatz: Französische Kampfflugzeuge sollen die Kämpfer des Islamischen Staats bombardieren. (Foto: dpa)

Warum Paris die Terrormiliz IS in Syrien bekämpfen will und sich mit der Aufnahme von Flüchtlingen schwertut.

Von Christian Wernicke, Paris

Der Präsident war gerührt. Und er hat, von ganzem Herzen und im Namen seiner Nation, Jinan Badel am Dienstag jegliche Hilfe versprochen. "Überbringen Sie diese Botschaft", bat François Hollande die 19-jährige Frau. Die junge Jesidin, die über ihre dreimonatige Gefangenschaft in Kerkern islamistischer Terroristen ein Buch geschrieben hat ("Sklavin des Islamischen Staats"), war als Kronzeugin nach Paris gekommen; zur "Internationalen Konferenz zum Schutz der Opfer ethnischer und religiöser Gewalt im Mittleren Osten".

60 Länder hatte Paris zu der UN-Tagung geladen, seit Monaten liefen die Vorbereitungen. Frankreich, das sich als traditionelle Schutzmacht der Christen in der Levante versteht, wollte die Welt gegen den Horror im Orient mobilisieren. Nun aber, da täglich Tausende aus Syrien und Irak nach Europa wandern, stand auch diese Konferenz im Schatten von Europas Flüchtlings-Welle. In seiner Auftaktrede beschwor Hollande die Gefahr eines drohenden "Exodus". Später hat er Jinan Badel dann versichert, dass Frankreich den kurdischen Milizen im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) weiterhin beistehen werde: mit Waffenlieferungen und mit französischen Luftangriffen. "Wir werden dies tun und dabei Ihr Gesicht vor Augen haben", sicherte das Staatsoberhaupt zu. Die junge Frau lächelte. In ein paar Tagen fliegt sie zurück zu ihrer Familie, ins Flüchtlingslager im Irak. Das Asyl, das Frankreich ihr anbot, hat sie ausgeschlagen.

Die Mehrheit der Franzosen lehnt die Aufnahme weiterer Flüchtlinge ab

Damit tut Jinan Badel so ziemlich genau das, was - laut Umfragen - die Mehrheit der Franzosen wünscht. "Wir machen lieber da drüben Krieg, als dass wir hier Flüchtlinge aufnehmen wollen", fasst Gaël Silman das Ergebnis einer Umfrage zusammen, die sein Institut Odaxa soeben für den Parisien durchführte. Demnach sind 55 Prozent aller Franzosen dagegen, nach dem Vorbild Deutschlands großzügiger Flüchtlinge ins Land zu lassen. Und 62 Prozent sehen keinen Grund, syrischen Migranten einen Sonderstatus zuzubilligen. Gleichzeitig ist eine klare Mehrheit der Franzosen bereit, Frankreichs Militäraktionen gegen den IS auszuweiten: 61 Prozent befürworten den Einsatz von Bodentruppen.

Präsident Hollande ging mithin kein Risiko ein, als er am Montag anordnete, Frankreichs Luftwaffe solle im Kampf gegen den IS nicht mehr nur über den Irak, sondern ab sofort auch über Syrien fliegen. Am Dienstag meldete der Generalstab die ersten Einsätze. Weniger populär im Volk ist hingegen Hollandes gleichzeitige Ankündigung, im Rahmen einer EU-Lastverteilung zusätzliche 24 000 Flüchtlinge aufzunehmen. Insgesamt, so kalkulieren Experten im Innenministerium, werden dieses Jahr wohl 100 000 Asylbewerber aufgenommen werden.

Weit weniger also, als der Nachbar im Osten leistet. Dennoch fühlt sich das Land überfordert, organisatorisch wie psychisch. Die meisten der 25 000 Plätze, die Frankreich in "seinen Begrüßungszentren" für Asylbewerber bereithält, sind belegt. 11 000 Betten sollen dazukommen, aber bis zum Jahresende werden wohl nur 4200 stehen. Am Dienstag traf sich Innenminister Bernard Cazeneuve mit einigen Bürgermeistern zur Krisensitzung, der Staat macht mobil. Aber in der Hauptstadt Paris schlafen seit Monaten Flüchtlinge unter Metro-Brücken oder am Seine-Ufer. Und in Calais nahe des Eurotunnels hausen Tausende in selbstgebauten Zelten und Hütten. Vorige Woche schaute Premierminister Manuel Valls vorbei und versprach, eine winterfeste Zeltstadt zu errichten. Geplante Fertigstellung: Januar 2016.

Bezeichnend für die Stimmung im kriselnden Land (Nullwachstum, über zehn Prozent Arbeitslosigkeit) war das vergangene Wochenende. Kaum mehr als 10 000 Franzosen rafften sich zur Demonstration auf, mit denen Hilfsorganisationen für die Aufnahme von mehr Flüchtlingen warben. Derweil warnte Marine Le Pen, die Chefin des Front National, bei einem Parteikongress in Marseille, mit den Flüchtlingen drohe der Import islamistischer Terroristen. Der konservative Oppositionsführer Nicolas Sarkozy warf Le Pen deshalb "Brutalität" vor. Zugleich forderte er jedoch, die Zuwanderer bereits außerhalb der EU-Grenzen zu stoppen und etwa in Bulgarien oder Serbien in "Lager zur Sicherheitsverwahrung" zu stecken. Ex-Minister Xavier Bertrand, schlug vor, Frankreich solle sich zum "totalen Krieg" in Syrien rüsten. Hollande will die Welt lieber erneut nach Paris laden - zu einer "Weltflüchtlings-Konferenz".

© SZ vom 09.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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