Frankreich:Container statt Baracken

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In der nordfranzösischen Hafenstadt Calais leben Tausende in improvisierten Hütten und warten auf ihre Chance, durch den Eurotunnel nach England zu gelangen. (Foto: Philippe Huguen/AFP)

In Calais müssen Tausende Flüchtlinge auf einer ehemaligen Müllhalde hausen. Zwar sollen sie nun feste Unterkünfte erhalten, doch sie warten ohnehin nur darauf, nach England zu gelangen.

Von Christian Wernicke, Paris

Mit zwei symbolträchtigen Entscheidungen hat der französische Staat am Montag signalisiert, die elende Lage von ungefähr 10 000 Flüchtlingen am Ärmelkanal und nahe des Eurotunnels verbessern zu wollen. Im berüchtigten "Dschungel" von Calais, wo zwischen 5000 bis 8000 Migranten auf dem Terrain einer ehemaligen Müllhalde hausen müssen, wurden erste Wohncontainer eröffnet. In den kommenden Wochen sollen auf diese Weise 1500 Menschen ein festes Dach über dem Kopf erhalten. Zugleich billigte die Regierung den Bau eines neuen Notlagers im 40 Kilometer nordöstlich von Calais gelegenen Ort Grande-Synthe bei Dünkirchen: Dort harren 3000 meist kurdische Flüchtlinge in Schlamm und Kälte aus.

Hilfsorganisationen begrüßten am Montag die Entscheidungen aus Paris. Allerdings bemängelten NGOs wie Ärzte ohne Grenzen (MSF), dass die Verbesserungen erst auf Anordnung französischer Gerichte und nach monatelanger Verzögerung erfolgten. Ein Helfer kritisierte den Pariser Kurs im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung als "Strategie von Zuckerbrot und Peitsche", da das Innenministerium in Calais gleichzeitig Zwangsräumungen und Umsiedlungen plane. In den vergangenen Wochen war es nachts wiederholt zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Hunderten Flüchtlingen gekommen. Der neu gewählte Präsident der Region, der konservative Republikaner Xavier Bertrand, hatte am Wochenende den Einsatz der Armee gegen randalierende Flüchtlinge gefordert.

2003 hat Paris sich verpflichtet, Reisende ohne gültige Papiere an der Überfahrt zu hindern

Die Flüchtlings-Slums bei Calais sind Folge eines französisch-britischen Abkommens aus dem Jahr 2003: Damals hatte sich Paris verpflichtet, Reisende ohne gültige Papiere mit Ziel Großbritannien auf französischem Boden festzuhalten. Seit Oktober machen massive Sicherheitsmaßnahmen es den Flüchtlingen fast unmöglich, zu Fähren im Hafen oder bis in den Verladebahnhof vorzudringen, von dem aus die Züge durch den Eurotunnel nach England rollen. Die Migranten versuchen seither vermehrt, nachts mit Barrikaden und Feuer den Verkehr auf einem Autobahnzubringer nahe dem "Dschungel" zu stoppen und in Lkw-Anhänger einzudringen. Die Hafengesellschaft von Calais beklagte vorige Woche bereits fallende Umsatzzahlen.

Die für Calais zuständige Präfektin Fabienne Buccio kündigte an, der Staat wolle nun einen Teil des "Dschungels" räumen und einen hundert Meter breiten "Schutzstreifen" entlang der Autobahn absichern. Die Vertreterin der Pariser Zentralregierung kündigte an, den 500 betroffenen Insassen abgerissener Holzbaracken und Zelte solle vorrangig ein Platz in den neuen Wohncontainern angeboten werden. Helfer glauben, die Räumung würde weitaus mehr Menschen obdachlos machen. "Dies ist eine Zone, in der viele Flüchtlinge zuletzt feste Hütten mit Geschäften und Restaurants gebaut haben - das ist längst eine Art Kleinstadt ", sagt ein Arzt, der im "Dschungel" für eine Hilfsorganisation arbeitet. Die neuen 125 Container - beheizt, mit Elektrizität und Etagenbetten für je zwölf Personen auf 14 Quadratmetern - verbessern die Lebensumstände für ihre 1500 Insassen. Weitere 400 Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder, leben bereits jetzt in einem festen Gebäude.

Die Regierung will das Camp offenbar "austrocknen" und die Zahl der Dschungel-Bewohner auf 2000 Personen senken. Umsiedlungen und Internierungen in Lagern in anderen Teilen Frankreichs, wie sie die Regierung im Herbst versucht hatte, waren von Menschenrechtsorganisationen als "illegal" angeprangert und dann von Paris zunächst eingestellt worden.

Schneller als in Calais, wo der Bau der Container fünf Monate gedauert hatte, soll sich nun die Lage bei Dünkirchen verbessern. Binnen vier Wochen soll in der Gemeinde Grande-Synthe ein Camp aus beheizten Zelten entstehen. Dort sollen 2500 der aktuell ungefähr 3000 Menschen unterkommen, die bei Temperaturen nahe null Grad derzeit in Zelten auf einem morastigen Gelände leben. Die meisten von ihnen sind Kurden aus dem Nordirak und aus Syrien, darunter viele Familien mit kleinen Kindern. Die lokale Verwaltung und MSF hatten das Projekt vorgeschlagen, um "das Lager der Schande" , so Bürgermeister Damien Carême, aufzulösen.

Paris billigte den Bau des neuen Lagers, das die Mindeststandards des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge erfüllen soll, nur zögerlich. Das Innenministerium fürchtet, eine Verbesserung der Zustände werde wiederum neue Flüchtlinge anziehen. Dies war die Erfahrung zwischen 1999 und 2002: Damals war ein Rotkreuz-Lager in Sangatte bei Calais von Flüchtlingen völlig überlaufen worden. Der damalige Innenminister Nicolas Sarkozy hatte schließlich die ersatzlose Schließung des Camps verfügt.

© SZ vom 12.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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