Frankreich:Abschied von der alten Klasse

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In Frankreich findet ein fundamentaler Politikwechsel statt: Sowohl die bis vor den Wahlen regierenden Sozialisten als auch die Republikaner erleiden fürchterliche Niederlagen.

Von Christian Wernicke, Paris

Wie sehr das politische Frankreich sich binnen sechs Monaten verändert hat, ließ sich am Montag nach der Wahl dem hochroten Gesicht von Manuel Valls ablesen. "Lassen Sie mich gefälligst durch", blaffte der Ex-Premier, "was soll das Spektakel?" Dabei wusste der 54 Jahre alte Sozialdemokrat genau, warum so viele Kameras und Mikrofone ihm im Hof des Palais Bourbon, Sitz der Nationalversammlung, den Weg versperrten: Valls muss weiter um seine Wiederwahl bangen.

Ausgerechnet jener Mann, der noch Anfang Dezember Amtsinhaber François Hollande bedrängt hatte, nicht erneut bei der Präsidentschaftswahl zu kandidieren - genau dieser Valls schafft es nun allenfalls mit Ach und Krach, wenigstens sein Mandat als Abgeordneter zu retten. In seiner politischen Heimat Evry, der Arbeitervorstadt im Süden von Paris, verkündete Valls kurz vor Mitternacht selbst, mit knappen 139 Stimmen Vorsprung gewonnen zu haben. Im Rathaus von Evry kam es zu Tumulten und lautstarken Protesten, und Valls' Herausforderin, die linkssozialistische Farida Amrani, will das Ergebnis vor Gericht anfechten: Die Linke ist überzeugt, Valls habe mit Tricks und Fingereien früherer Genossen die Auszählung manipuliert.

Die Republikaner müssen mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1958 fertig werden

Das Schicksal Valls' erzählt, was die Pariser Politklasse im Frühsommer massenhaft erlebt hat: einen tiefen Sturz, mal in Unwürde, mal ins Ungewisse. Reihenweise verloren bei den Durchgängen der Parlamentswahl am 11. und 18. Juni sozialistische Ex-Minister oder republikanische Parteigranden ihre Mandate: Alte Hasen wie Jean-Jacques Urvoas, der frühere Justizminister, oder Jean-Christophe Cambadélis, bisheriger PS-Parteichef. Auch Nathalie Kosciusko-Morizet, die Ex-Uweltministerin und moderate Republikanerin aus Paris, schied aus. Emmanuel Macron, der Präsident und nunmehr heimliche Chef von La République en Marche, hatte sehr genau darauf geachtet, auch junge, aufstrebende Politiker der etablierten Parteien mit starken Gegenkandidaten aus den Reihen seiner Marschierer zu konfrontieren: Matthias Fekl, zuletzt kurz Innenminister, Axelle Lemaire, kürzlich noch Staatssekretärin für Innovation, sowie Najat Vallaud-Belkacem, bis zum 7. Mai Bildungsministerin, verloren allesamt ihre Sitze.

In Bewegung, auch in der Luft: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Cockpit eines Airbus A400M, kurz bevor er am Montag die 52. Pariser Luftfahrtschau eröffnete. (Foto: Michel Euler/Reuters)

Macron wolle früh mögliche Konkurrenten erledigen, sagte ein Präsidentenvertrauter Le Monde: "Er plant für zehn Jahre" - zwei Amtszeiten also. Valls hatte Macron Treue geschworen, weshalb En Marche gegen ihn keinen Gegenkandidaten aufstellte. Dennoch war die Bürgerwut auf das alte Personal so groß, dass der Ex-Premier und frühere Möchte-Gern-Präsident nun vor dem Kadi um seinen Platz auf der Hinterbank bangen muss.

Der Triumph von En Marche ist weiterhin dies - ein Triumph. Wenn auch kleiner als prognostiziert: 350 von 577 Sitzen sind eine absolute Mehrheit - aber weniger als 420 oder 450 Mandate, von denen Demoskopen vorige Woche orakelten. Prominente Marschierer wie die Stierkämpferin Marie Sara oder Eric Halphen, ein als Kämpfer gegen politische Korruption zu Ehren gekommener Richter, setzten sich nicht durch. Die Marschierer stießen an Grenzen - auch weil viele Macron-Anhänger nach den Kantersiegen nicht mehr wählten. 57,4 Prozent der Stimmberechtigten verweigerten die Wahl. Noch eine Zahl symbolisiert den negativen Rekord: Nur neun gewählte Deputierte schafften es, wenigstens 30 Prozent der Wahlberechtigten für sich zum Urnengang zu mobilisieren.

Den Platz wechseln muss nach der Wahl offenbar auch Macrons Vertrauter Richard Ferrand. Macron bat ihn, nach kaum sechs Wochen die Regierung zu verlassen. Ferrand, Minister für Wohnungsbau und Regionalpolitik, soll als Fraktionschef die Regierungspartei in der Nationalversammlung lenken. Ferrand ist wegen einer Immobilienaffäre in Verruf geraten. Gegen ihn laufen staatsanwaltliche Vorermittlungen.

Die Republikaner, mit 136 Mandaten besser bedient als insgeheim selber befürchtet, müssen dennoch mit ihrem schlechtesten Ergebnis seit 1958 fertig werden. Die bürgerliche Opposition ringt noch, ob sie Macron und dessen Regierungschef Édouard Philippe, einem früheren Parteifreund, bei der Vertrauensabstimmung Anfang Juli eine Chance gibt.

SZ-Grafik; Quelle: französisches Innenministerium (Foto: N/A)

Für mehr Leben im Palais Bourbon dürften fortan zwei wortgewaltige Charaktere sorgen, die an den Rändern des Plenums sitzen werden. Marine Le Pen, Vorsitzende des rechten Front National, schaffte es erstmals und gleich mit sieben Parteifreunden ins Hohe Haus. Auf der Linken gibt künftig Jean-Luc Mélenchon den Ton an, der Anführer der Unbeugsamen, der aus 17 Linkssozialisten und zehn Kommunisten eine wortgewaltige Fraktion bilden will. Falls es wirklich nicht mit rechten Dingen zuging bei der Wahl von Valls in Evry - dann bekäme die Linke sogar einen Sitz hinzu.

© SZ vom 20.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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