Flüchtlingspolitik:Der wichtigste Einsatz

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"Den Wesenskern Europas" symbolisierten die Soldaten: die Würde der Menschen zu respektieren, so sagt Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen. (Foto: Soeren Stache/dpa)

Die deutsche Marine hat im Mittelmeer bereits mehr als 5600 Flüchtlinge gerettet.

Von Christoph Hickmann, Catania

Es müssen grauenhafte Zustände sein: Hunderte Menschen, dicht an dicht, zusammengepfercht, geradezu gestapelt. Auf dem Oberdeck hocken diejenigen, die es sich leisten konnten, die den Schleusern am meisten Geld gezahlt haben. Darunter liegen zwei weitere Decks, ganz unten eingepfercht sind die Ärmsten und Schwächsten, Frauen und Kinder. Toiletten gibt es an Bord nicht, Dreck fällt von oben nach unten. Ungefähr so schildern die deutschen Marinesoldaten, die seit Mai im Mittelmeer Flüchtlinge retten, was sie regelmäßig in den Booten vorfinden.

Der Oberstabsgefreite Rico, 26, aus Oberhof in Thüringen ist einer von denen, die von der Fregatte Schleswig-Holstein aus mit dem Speedboot zu den Flüchtlingsschiffen fahren, die Menschen darauf zu beruhigen versuchen und sie dann nach und nach zur Fregatte bringen, Frauen und Kinder zuerst. Einmal, erzählt er, seien sie neun Stunden lang hin und her gefahren, bis alle Flüchtlinge an Bord des Kriegsschiffes gewesen seien. "Stolz" sei er auf diesen Einsatz. "Würd' ich schon so sagen."

"Ein Viehtransport ist nichts dagegen" - so beschreibt der Kapitän die Zustände

Es ist Samstag, die Fregatte ankert vor Catania, Sizilien, blauer Himmel, glitzerndes Meer. Drüben ankert das Versorgungsschiff Werra, zusammen bilden sie derzeit den deutschen Einsatzverband im Mittelmeer. Die Mittagssonne brennt, die Besatzung der Schleswig-Holstein erwartet den Besuch von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die gleich mit dem Speedboot anrauschen wird. Seit Mai beteiligt sich die deutsche Marine an der Seenotrettung im Mittelmeer, Anfang Juni haben die Schleswig-Holstein und die Werra übernommen - und waren sofort gefordert. So rettete die Fregatte einmal 522 Menschen auf einen Schlag, bei der Werra waren es einmal 627. Mal waren es 90 Menschen, zusammengedrängt auf einem Schlauchboot, dann wieder fast 500, viele von ihnen eingepfercht unter Deck. "Ein Viehtransport ist nichts dagegen", sagt der Kommandant der Schleswig-Holstein, Fregattenkapitän Marc Metzger. Bisher hat die Marine nach ihren eigenen Angaben insgesamt 5673 Personen gerettet, davon 409 Kinder.

An Bord werden sie dann versorgt, auch medizinisch, werden verpflegt, bis sie an Land gebracht werden. "Alle Geretteten, die hier an Bord kommen, werden behandelt wie Gäste", sagt Kapitän zur See Thorsten Mathesius, Kommandeur des deutschen Einsatzverbands. Die Kinder bekommen immer sofort ein Kuscheltier und einen Lolli.

Die Soldaten an Bord der Fregatte klingen geradezu begeistert, wenn sie über ihren Einsatz sprechen. Sie berichten von Strapazen - davon, wie es ist, bei mediterraner Hitze stundenlang im Schutzanzug zu arbeiten. Davon, dass es zwölf, manchmal 14 Stunden dauere, bis alle Flüchtlinge an Bord und versorgt seien. Aber eigentlich alle sagen, dass dies für sie mit Abstand der wichtigste Einsatz ihrer Dienstzeit sei. Weil sie hier Leben retteten.

Ministerin von der Leyen sagt in ihrer Ansprache auf dem Hubschrauberdeck zu den Soldaten, sie symbolisierten "was der Wesenskern Europas ist": die Würde jedes Menschen zu respektieren. Das Problem ist nur: Das kann ja nicht ewig so weitergehen. Von der Leyen sagt zur Besatzung: "Sie schenken der Politik Zeit." Die müsse man nutzen, "um die tieferen Ursachen" des Flüchtlingselends anzugehen. Aber wie will man das eigentlich machen?

Seit wenigen Tagen ist die Marine im Mittelmeer nicht nur zur Seenotrettung unterwegs, sondern offiziell der europäischen Operation "Eunavfor Med" unterstellt. Das bedeutet, dass die Schiffe weiter Flüchtlinge retten sollen, sobald in Seenot geratene Boote in ihrer Nähe sind - doch ihr offizieller Auftrag lautet nun, Informationen zu sammeln, die Rückschlüsse auf Schleuser und ihre Netzwerke erlauben. Das ist die erste Phase dieser gegen die Schleuserkriminalität gerichteten Operation, die eigentlich drei Phasen umfassen soll. Für die zweite ist vorgesehen, die Boote von Schleppern zu suchen und zu beschlagnahmen. In der dritten Phase würde man sogar noch weiter gehen und sich Boote und Einrichtungen der Schlepper an Land vornehmen, also letztlich in Libyen. Das hat breite Kritik ausgelöst, doch es ist alles andere als sicher, dass es überhaupt so weit kommt. Für die zweite und dritte Phase wäre nach einhelliger Meinung eine Resolution des UN-Sicherheitsrats nötig. Ob die zustande kommt, ist ungewiss.

Die Deutschen könnten noch ein wenig mehr Unterstützung gebrauchen

Also sammelt man zunächst einmal Informationen. Tatsächlich allerdings hat die Marine offenbar bereits vor Beginn der eigentlichen Operation, also während der Phase der reinen Seenotrettung, durch die gezielte Befragung geretteter Flüchtlinge ein recht präzises Bild vom Vorgehen der Schleuser gewonnen. So ist aus Militärkreisen zu hören, dass es in Libyen nach bisherigen Erkenntnissen etwa 100 Kilometer von der Küste entfernt systematisch aufgebaute Sammellager gebe. Dort warteten die Fluchtwilligen und ihre Schleuser auf das Startsignal. Wenn ein Transport unmittelbar bevorstehe, zeige das die erhöhte Mobilfunkfrequenz.

Was tun mit diesen und weiteren Erkenntnissen? Das ist ein Fragezeichen hinter dieser Mission. Das andere betrifft die Beteiligung weiterer Staaten an "Eunavfor Med". Bislang können sich die Deutschen etwas alleingelassen fühlen. Die Italiener sind dabei, mit ihnen läuft die Kooperation offenbar sehr gut. Doch andere Staaten wollen entweder gar nicht oder erst später dazustoßen.

"Wir brauchen ein echtes, ausgereiftes europäisches Seenot-Rettungsprogramm", sagt die Grünen-Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger, die im Tross der Ministerin die Schleswig-Holstein besucht. "Es müssen legale, sichere Einwanderungswege nach Europa geschaffen werden." Ihr SPD-Kollege Rainer Arnold sagt, man müsse am Ende auch überlegen, wie man die "Schleuserkriminalität bekämpfen" könne. "Wir können ja nicht sagen, das machen wir jetzt die nächsten fünf Jahre." Der Einsatz der Marine sei "eine zutiefst humanitäre, aber auch keine dauerhafte Antwort".

© SZ vom 06.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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