Flüchtlingspolitik:Am wenigsten unwillig

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Deutschlands Asylpolitik steht im internationalen Vergleich human da. Die Hauptlast der Flüchtlingskrise tragen aber die Türkei, Libanon und Jordanien.

Von Bernd Kastner, Roland Preuss, München

Selbst die härtesten Kritiker der Berliner Asylpolitik sind sich einig: Im internationalen Vergleich ist das deutsche System sehr gut. Von einer "Koalition der Unwilligen" in Europa spricht Karl Kopp von Pro Asyl, und in diesem Kreis sei Deutschland, gemeinsam mit Schweden, das am wenigsten unwillige Mitglied. Das Lob ist giftig, aber immerhin. Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat lobt die Versorgung der Asylsuchenden in Deutschland mit Geld, Unterkunft, Bildung - um hinzuzufügen: Die sei so gut organisiert wie die Abschreckung durch Arbeitsverbote.

"Wir brauchen den Motor Deutschland, in Europa und global, das ist wichtiger als je zuvor", sagt Volker Türk. Der Österreicher ist Vize-Chef beim UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, und sehr angetan: Deutschland nehme eine "Vorreiterrolle" ein. Er schätzt das "sehr korrekte" deutsche Asylsystem und die gesellschaftliche Leistung bei der Aufnahme der Flüchtlinge, "die von der Welt bewundert wird".

Die klassischen Einwanderungsländer schotten sich ab

Dabei schaffen es nur die wenigsten Flüchtlinge bis an die deutschen Grenzen. Die meisten leben in armen Regionen, oft als Vertriebene im eigenen Land oder in Nachbarstaaten. Man denke an Libanon, Jordanien oder die Türkei, wo Millionen Syrer oft in großen Lagern hausen. Diese Länder tragen die Hauptlast der globalen Flüchtlingsmisere. Laut UNHCR hatten die Türkei, Pakistan und Libanon am Ende des Jahres 2015 die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Gemessen an ihrer Einwohnerzahl schultern diese Länder deutlich mehr als Deutschland. Unter den Industrieländern hat die Bundesrepublik die größte Zahl an Asylsuchenden registriert, pro Einwohner im Jahr 2015 aber weniger als etwa Schweden. Von einer fairen Lastenteilung ist man in der EU immer noch weit entfernt.

Wie diese aussehen könnte, hatte schon vor gut drei Jahren der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration skizziert: Demnach könnten die EU-Staaten nach einer Formel Flüchtlinge aufnehmen, die Wirtschaftskraft, Einwohnerzahl, Größe und Arbeitslosenquote berücksichtigt. Politisch ist das aber derzeit nicht durchsetzbar. Seit dem Frühjahr 2016 hat sich die Lage ohnehin geändert. Die Balkanroute ist durch Zäune versperrt, die Flucht über die Ägäis infolge des EU-Flüchtlingspakts mit der Türkei blockiert. Von völliger Abschottung kann dennoch keine Rede sein: Auch in den Monaten nach dem Abkommen vom März kamen jeweils mehr als 15 000 Menschen in Deutschland an. Insgesamt waren es 2016 etwa 280 000. Lässt man das Jahr 2015 einmal außer Acht, war das die höchste Zahl seit 1993.

Ganz anders, daran erinnert Stefan Luft, Migrationsforscher an der Uni Bremen, halten es die klassischen Einwanderungsländer. Australien schotte sich komplett ab, die USA nahmen im gesamten Jahr 2015, also in Vor-Trump-Zeiten, so viele Syrer auf wie Deutschland in wenigen Tagen. In den Golfstaaten sind Geflohene grundsätzlich unerwünscht. Luft prognostiziert, dass Deutschland seine Anziehungskraft behalten werde, auch aufgrund des großen Gefälles in der EU, ökonomisch, sozial und politisch. Einen exzellenten Ruf genieße die Bundesrepublik international als stabiles, prosperierendes und faires Land. Und die Erinnerung an die "Willkommenskultur" vom Sommer 2015 sei im globalen kollektiven Gedächtnis verankert. Die Bilder von damals seien wirksamer als alle Asylrechts-Verschärfungen seither.

© SZ vom 11.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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