Flüchtlingskrise:Zurück zu Dublin

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Sind Sprachkenntnisse vorhanden, gelingt die Integration meist besser: Abdulrahem aus Syrien besucht im vorpommerschen Loitz einen Deutschkurs. (Foto: Stefan Sauer/dpa)

Bundesinnenminister de Maizière will Syrer wieder in andere EU-Länder zurückschicken. Der Koalitionspartner SPD wird von der Ankündigung überrascht - und übt später harsche Kritik.

Von Christoph Hickmann, Roland Preuss, Berlin/München

Wenn man die vergangenen Tage mit einer politischen Aussage zusammenfassen will, dann lautet sie: Nach Wochen des ungebremsten Flüchtlingsandrangs vor allem aus Syrien sendet die Bundesregierung nun andere, restriktivere Signale. Wenn man darüber hinaus Haltungsnoten verteilen müsste, fiele einem nur noch ein Wort ein: Chaos.

Schon am Wochenende war es ja nicht so gewesen, dass die Bundesregierung, vor allem deren von der Union gestellter Teil, einen sonderlich geordneten Eindruck vermittelt hätte. Nach dem Hin und Her zwischen Bundesinnenminister Thomas de Maizière und Kanzleramtschef Peter Altmaier erwartete man im politischen Berlin eigentlich, dass nun etwas Ruhe einkehren würde. So kam es aber nicht. Stattdessen brachte der Dienstag neue Verwirrung.

Am Nachmittag kam zunächst die SPD-Bundestagsfraktion zusammen. Das war insofern von Interesse, als von der SPD nun alle wissen wollten, wie sie zum Vorhaben der Union stehe, den Familiennachzug für syrische Flüchtlinge einzuschränken. Fraktionschef Thomas Oppermann gab sich vor der Sitzung reserviert: "Wir haben keinen Gesprächsbedarf in dieser Frage." In der Fraktionssitzung sagte er dann laut Teilnehmern, wer angesichts einer Million unerledigter Anträge ein aufwendiges Verfahren plane, handele "wie ein Bruchpilot". Damit zielte er auf Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Allerdings vermied es Oppermann, das Ansinnen der Union eindeutig abzulehnen. Hintergrund dürfte die Sorge sein, dass im Fall einer zu eindeutigen Festlegung der Druck auf die SPD wie jüngst bei der Diskussion über die Transitzonen wieder wachsen könnte.

Das also war die Frage, die am Dienstag eigentlich im Mittelpunkt stehen sollte. Doch kaum hatte sich Oppermann hinreichend vage positioniert, erzeugte schon die nächste Meldung Verwirrung. Auch sie ging auf den Innenminister zurück.

Demnach sollen Syrer künftig wieder häufiger in andere europäische Länder zurückgeschickt werden. Das entsprechende Dublin-Verfahren der EU gelte auch wieder für syrische Flüchtlinge, teilte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Dienstag mit. Deutschland verfolge das Ziel, zu geordneten Verfahren zurückzukehren, dazu gehöre "auch die Feststellung des zuständigen Mitgliedstaates zur Durchführung des Asylverfahrens". Eine entsprechende Anweisung an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) greife bereits seit dem 21. Oktober und sei "selbstverständlich mit Billigung der Hausleitung", also von de Maizière, ergangen.

Wie bitte? War das die endgültige Abkehr von der bisherigen Linie in der Flüchtlingspolitik? An der SPD-Spitze wusste damit erst einmal niemand etwas anzufangen. Auch Bamf-Chef Frank-Jürgen Weise, am Dienstag zu Gast in der SPD-Fraktion, soll laut Teilnehmern bekundet haben, dass er nichts davon wisse. Ein Sprecher der Behörde korrigierte diese Darstellung dann: Weise sei informiert gewesen. Spätestens da war die Verwirrung komplett.

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende und Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz, ging zum Angriff über. "Es kann nicht sein, dass der Bundesinnenminister, statt für Ordnung zu sorgen, die Abläufe fast täglich chaotisiert", sagte sie. Die Dublin-Verfahren seien aus gutem Grund ausgesetzt worden, um den bürokratischen Aufwand zu verringern.

Nach dem Dublin-Verfahren ist der EU-Staat für das Asylverfahren zuständig, den ein Flüchtling zuerst betreten hat. Rechtlich gesehen müssten viele Flüchtlinge also in Griechenland, Bulgarien, Rumänien oder Kroatien bleiben. Slowenien hat unterdessen angekündigt, an der Grenze zu Kroatien einen Zaun zu errichten, um den Zustrom von Flüchtlingen zu steuern. Laut EU-Recht darf Deutschland Flüchtlinge, die bereits im Land sind, in den zuständigen EU-Staat zurückschicken. Wegen der katastrophalen Lage vieler Schutzsuchender in Griechenland schieben die Behörden allerdings bereits seit Jahren so gut wie keinen Flüchtling mehr Richtung Athen ab, sondern prüfen die Asylanträge selbst. Seit dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen ist das Bamf auch in vielen anderen Fällen dazu übergegangen, die Asylanträge in Deutschland zu prüfen. Im ersten Halbjahr 2015 wurden nur 108 Syrer in EU-Staaten zurückgeschickt. Ende August teilte die Behörde sogar per Twitter mit, dass die Dublin-Verfahren derzeit "faktisch nicht weiter verfolgt" würden. Kritiker machten diese vielfach verbreitete Botschaft mitverantwortlich für den Zustrom an Flüchtlingen in den folgenden Wochen. Nun will de Maizière das Dublin-Verfahren wiederbeleben und so eine gewisse Lastenteilung in der EU erzwingen. Bisher nehmen wenige EU-Staaten die Mehrheit der Flüchtlinge auf, unter ihnen Schweden und Deutschland. Das Problem ist die Durchsetzung. Ein Großteil der Syrer will nach Deutschland, nicht nach Bulgarien. Die Menschen müssten also an der Grenze abgewiesen oder in das zuständige EU-Land zurückgeschickt werden - und dort eine Perspektive erhalten. Es sei jedoch nicht geplant, jemand an den Grenzen zurückzuweisen, heißt es aus dem Innenministerium.

Viel Lärm um nichts also? Hochsymbolisch ist die Aktion in jedem Fall. Die faktischen Auswirkungen dürften zunächst gering sein. Bleibt die Frage, warum die Sache schon wieder derart verwirrend kommuniziert werden musste.

© SZ vom 11.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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