Flüchtlingskrise:Seehofer sieht Koalition in "ernster Lage"

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CSU-Chef nennt Verhältnis zu Kanzlerin Merkel "angeknackst". Kettenreaktion in Südeuropa nach Österreichs Obergrenze.

Von S. Höll und D. Kuhr, München/Frankfurt

Nach dem Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth sieht Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer die große Koalition in einer Krise. "Wir sind durchaus in einer ernsten Lage", sagte der CSU-Chef am Donnerstag dem Sender n-tv. Sein über die Jahre gewachsenes vertrauensvolles Verhältnis zu Merkel sei "jetzt etwas angeknackst".

Am Vorabend hatte Merkel die Fraktion in Kreuth besucht. Es habe einen ausführlichen Gedankenaustausch gegeben, aber nicht das geringste Signal einer Annäherung, berichteten Teilnehmer. Merkel habe darauf beharrt, das Flüchtlingsproblem international zu lösen. Die CSU dagegen meint, bis das gelinge, müssten auch nationale Maßnahmen getroffen werden. Dabei denkt man vor allem an eine Obergrenze, wie Österreich sie am Mittwoch beschlossen hat. "Wir werden diese Begrenzung weiterhin einfordern - politisch und möglicherweise auch rechtlich", sagte Seehofer. Er sieht die "praktische Handlungsfähigkeit" der großen Koalition in Gefahr. Die Tatsache, dass es zu einem historischen Thema einen signifikanten Meinungsunterschied gebe, wirke sich "zwangsläufig" auf die Arbeit der Bundesregierung aus.

Bayern werde darauf dringen, "dass die schweren Fehler, die in Berlin gemacht werden, abgestellt werden", sagte Seehofer. Völliges Unverständnis zeigte er dafür, dass der Bund es ablehnt, sich von Bayerns Polizei helfen zu lassen. Zwischen Bayern und Österreich gebe es 70 Grenzübergänge. Fünf davon würden derzeit von der Bundespolizei kontrolliert. Er finde, damit sei "das Problem wirksam beschrieben".

Derweil hat Österreichs Entscheidung, nur noch begrenzt Flüchtlinge aufzunehmen, eine Kettenreaktion ausgelöst. Etwa 650 Asylsuchende aus Syrien, Afghanistan und dem Irak sitzen in einem Lager an der griechischen Grenze fest. Seit Dienstagabend dürfen Asylsuchende nicht mehr nach Mazedonien. Die mazedonischen Behörden erklärten, in Slowenien verkehrten Züge nicht mehr, die dort normalerweise Flüchtlinge an die Grenze zu Österreich brächten. Deshalb lasse Slowenien keine Asylsuchenden mehr von Süden her einreisen. Daraufhin hätten auch die noch weiter südlich gelegenen Staaten Kroatien und Slowenien ihre Grenzen geschlossen. Mazedonien sei nun das letzte Glied in der Kette.

"An der österreichischen Reaktion kann man sehen, was passiert, wenn Europa nicht funktioniert", sagte die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) der SZ. "Gelöst ist das Flüchtlingsproblem damit nicht, sondern nur weggeschoben." Auch Hessens Regierungschef Volker Bouffier (CDU) lehnt Obergrenzen ab. "Eine Grenze ist dann erreicht, wenn eine Gesellschaft Flüchtlinge nicht mehr menschenwürdig versorgen kann." Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos, er gehe davon aus, dass das Schengen-Abkommen noch gerettet werde könne. Voraussetzung sei, dass die Gemeinschaft einen Ersatz für das bisherige Dublin-System bei Asylverfahren finden: "Wir haben sechs bis acht Wochen."

© SZ vom 22.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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