Flüchtlingskrise:Griechen fühlen sich als Sündenbock

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Wut auf die EU: Demonstranten verbrennen aus Protest gegen einen Zaun an der griechisch-türkischen Landgrenze in Kastanies eine Europa-Flagge. (Foto: Sakis Mitrolidis/AFP)

Die EU-Forderung, die Ägäis-Grenze für Migranten dichtzumachen, halten viele für unrealistisch.

Von Luisa Seeling, München

In Griechenland löst die Drohung aus der EU Empörung und Sorge aus, das Land müsse aus dem Schengen-Raum ausgeschlossen werden, falls es seine Seegrenze zur Türkei nicht besser abriegele. Man fühlt sich als Sündenbock in der Flüchtlingskrise, obwohl diese ganz Europa betreffe. Auf der Website der Zeitung To Vima heißt es, Athen habe den Eindruck, angesichts der Ratlosigkeit in der EU werde jemand gesucht, dem man den Schwarzen Peter zuschieben könne.

Der Athener Radiosender 984 berichtet, selbst der EU-Grenzschutzagentur Frontex sei "aktuell keine Möglichkeit bekannt", wie man Flüchtlinge in der Ägäis davon abhalten könne, nach Griechenland zu kommen, ohne internationales Recht zu verletzen. Auf einen angeblichen Vorschlag Belgiens beim EU-Innenminister-Treffen, die Flüchtlinge auf hoher See zurückzudrängen ("Push back"), reagierte Griechenlands Migrationsminister Ioannis Mouzalas ablehnend: "Das ist illegal", sagte er am Dienstag dem Sender Skai. Die konservative Zeitung Kathimerini rief die "letzte Chance für die Hotspots" aus: Bis Mitte Februar müssten alle Aufnahmezentren auf den Inseln fertig sein. Die EU sei im Rückstand mit versprochener Hilfe, es fehlten noch Personal und Geld. EU-Diplomaten werfen Athen dagegen vor, den Aufbau der Hotspots zu verzögern, weil es an politischem Willen mangele.

Bisher ist nur der Hotspot auf Lesbos in Betrieb, einer von fünf geplanten. Auf der Insel funktioniere die Registrierung der Flüchtlinge inzwischen weitgehend, sagt Marios Andriotis, Berater und Sprecher des konservativen Bürgermeisters von Lesbos, der Süddeutschen Zeitung. "Zurzeit bekommen wir täglich im Schnitt 2000 Flüchtlinge", sagt er. "Wir glauben, dass wir bis zu 6000 Ankünfte pro Tag verkraften könnten." Es gebe Aufnahmezentren, ein Transport-System und einen Fährbetrieb, der die Menschen täglich in den Hafen Piräus bringe. Doch Andriotis sagt auch: Das sei reines Krisen-Management. Um die Ankunftszahlen zu verringern, müsse den Schleusern der Kampf angesagt werden. Eine Abriegelung der Seegrenze hält er hingegen kaum für möglich. "Sobald ein Boot die Türkei verlässt und in Richtung griechische Inseln unterwegs ist, gibt es keine andere Antwort, als die Leute zu retten und lebend an Land zu bringen."

Auf Lesbos wünscht man sich, dass die Migranten schon in der Türkei registriert werden

Darin ist er sich mit der linken Syriza-Regierung in Athen einig. "Was wir jetzt brauchen, ist eine kohärente und effektive europäische Migrationspolitik und ein Abkommen dazu, wie viele Flüchtlinge verteilt werden können", sagt Andriotis. Die Türkei müsse stärker gegen Schlepper vorgehen; sinnvoll wäre zudem die Flüchtlinge auf türkischem Boden zu registrieren, "damit wir sie nicht erst über den halben Kontinent laufen lassen". Er bleibe aber optimistisch, sagt Andriotis, dass es am Ende eine europäische Lösung geben werde - dies sei "nur logisch, fair und gerecht".

Diesen Optimismus teilen längst nicht mehr alle, das Land bereitet sich auf das Schlimmste vor. Sollten europäische Staaten entlang der Balkanroute, vor allem das benachbarte Mazedonien, die Grenze schließen, droht ein Rückstau Tausender Flüchtlinge. Wie Kathimerini berichtet, will das UNHCR für Unterkünfte im griechischen Thessaloniki sorgen; auch militärische Einrichtungen kämen infrage. Gut 20 000 Flüchtlinge und Migranten könnten kurzfristig in Hotels und privat beherbergt werden, sagte ein UNHCR-Vertreter. Mittelfristig könne es bis zu 60 000 werden. Derzeit, geht aus Berichten des Hilfswerks hervor, kann das Land höchstens 11 000 Migranten aufnehmen und unterbringen.

© SZ vom 27.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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