Flüchtlinge:Wien setzt Obergrenze

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Österreich will bis 2019 höchstens 127 500 Asylbewerber aufnehmen - die CSU sieht sich bestätigt. Präsident Gauck warnt vor dem Ende der EU.

Von C. Kahlweit, D. Kuhr, J. Bielicki, Wien/München/Kreuth

Österreich will von sofort an nur noch eine begrenzte Zahl von Flüchtlingen ins Land lassen. Auf einem Asylgipfel von Bund, Ländern und Kommunen in Wien einigte man sich am Mittwoch auf eine Obergrenze von 127 500 Flüchtlingen, die innerhalb der kommenden vier Jahre aufgenommen werden sollen. Wie genau das kontrolliert und wie der Beschluss rechtskonform umgesetzt werden kann, soll erst durch Gutachten und weitere Detailplanungen festgelegt werden. Eine konkrete Absprache mit Deutschland und Slowenien habe daher noch nicht stattgefunden, räumte Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) ein. Allerdings habe es "Vorwarnungen" gegeben. Wie mit den Flüchtlingen verfahren werden soll, die nicht in Österreich bleiben, sondern nach Deutschland weiterreisen wollen, ließen die Verantwortlichen in Wien offen.

Im Jahr 2016 sollen erst einmal nur maximal 37 500 Menschen nach Österreich einreisen dürfen, die über ein seit Mittwoch arbeitendes "Grenz-Leitsystem" an der slowenisch-österreichischen Grenze geführt werden. Für den Fall, dass sich die Flüchtlingsströme verstärkt nach Italien und an den Brenner verlagern, plant die Regierung in Wien auch dort Grenzanlagen.

CSU-Chef Horst Seehofer sieht nach der Entscheidung in Wien nun Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Zug: "Wenn Österreich jetzt Obergrenzen einführt, heißt das, es werden noch mehr Flüchtlinge nach Deutschland kommen", sagte er am Rande der Klausur der CSU-Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth. Er zeigte sich desillusioniert vom Kurs der Kanzlerin, die ganz auf eine europäische Lösung setzt: "Was geschieht denn auf europäischer Ebene? Kennen Sie ein Land, das bereit ist, Flüchtlinge aufzunehmen?" CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer forderte, sich ein Beispiel an Wien zu nehmen: "Die Österreicher machen's. Also müssen wir es auch machen." Vor den CSU-Abgeordneten kritisierte die Kanzlerin am Mittwochabend die Wiener Beschlüsse. Diese würden die Verhandlungen mit der Türkei erschweren, sagte sie Teilnehmern zufolge. Merkel bat demnach die CSU, ihren Weg "wenigstens ein bisschen" zu begleiten. Man sei sich einig, die Zuzugszahlen "spürbar und nachhaltig reduzieren" zu wollen. Sie betonte aber weiterhin die Notwendigkeit einer europäischen Lösung: "Über Plan B spreche ich nicht, weil ich Plan A erfolgreich machen will." Merkel verwies auf ein Treffen der EU-Regierungschefs Mitte Februar, "danach können wir eine Zwischenbilanz ziehen." Die Kanzlerin habe "keine Spur des Entgegenkommens gezeigt", sagte Seehofer anschließend in den ARD-Tagesthemen, der Tag sei "enttäuschend" gewesen. Bundespräsident Joachim Gauck verlangte eine offene Debatte über die Begrenzung des Zuzugs. Diese sei "nicht per se unethisch", sagte Gauck am Mittwoch beim Weltwirtschaftsforum in Davos: "Wenn nicht Demokraten über Begrenzungen reden wollen, wird Populisten und Fremdenfeinden das Feld überlassen." Zugleich warnte er vor einem Zerbrechen Europas: "Wollen wir wirklich, dass das große historische Werk, das Europa Frieden und Wohlstand gebracht hat, an der Flüchtlingsfrage zerbricht?", fragte er. Scharfe Kritik übte er an der mangelnden Solidarität innerhalb Europas in der Flüchtlingskrise. Er könne "nur schwer verstehen, wenn ausgerechnet Länder Verfolgten ihre Solidarität entziehen, deren Bürger als politisch Verfolgte einst selbst Solidarität erfahren haben".

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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