Flüchtlinge:EU vertagt Quote

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Die Innenminister einigen sich nur grundsätzlich darauf, 160000 Asylbewerber zu verteilen. Viele Länder führen Grenzkontrollen ein.

Von Nico Fried und Thomas Kirchner, Berlin/Brüssel

In der europäischen Flüchtlingskrise hat sich die EU-Kommission vorerst nicht mit ihrem Plan einer verbindlichen Quote durchsetzen können. Die EU-Innenminister einigten sich am Montagabend in Brüssel nur grundsätzlich auf die Verteilung von 160 000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland auf andere EU-Länder. Und selbst darüber gab es keinen Konsens, die Einigung musste per Mehrheitsentscheidung gegen den Willen osteuropäischer Staaten erzwungen werden. Eine endgültiger Beschluss sei für den 8. Oktober geplant, sagte Bundesinnenminister Thomas de Maizière. "Wir haben noch nicht die Festlegung auf die Quoten und die Verfahren im Einzelnen erreicht." De Maizière sprach von einem "ersten wichtigen Schritt". Deutschland unterstützt den Plan der Kommission, weil er Staaten, die bisher kaum Flüchtlinge aufgenommen haben, stärker in die Pflicht nähme.

Osteuropäische Länder wehren sich aber gegen eine verbindliche Quote. Die Flüchtlingskrise wird auch in Deutschland immer mehr zum allein dominierenden Thema: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat für die nächsten Tage eine Klausur des Kabinetts in Meseberg und einen Besuch von Estlands Premier Taavi Rõivas abgesagt. Stattdessen hat sie zu weiteren Spitzentreffen eingeladen, bei denen es um die Flüchtlingskrise gehen soll. Unterstrichen wird die Dramatik dadurch, dass erstmals ein Regierungsmitglied, Vizekanzler und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, die offizielle Prognose infrage stellte, wonach in diesem Jahr mit 800 000 Flüchtlingen in Deutschland zu rechnen sei. In einem Brief an die SPD-Mitglieder schrieb Parteichef Gabriel, vieles deute darauf hin, dass die Zahl auf eine Million steigen werde.

Die Kanzlerin will an diesem Dienstag gemeinsam mit ihrem österreichischen Kollegen Werner Faymann vermutlich eine Sondersitzung des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs fordern. Nach dem Gespräch mit Faymann kommt das Kabinett zu einer Sondersitzung zusammen. Am Abend treffen Merkel und weitere Mitglieder der Regierung die Ministerpräsidenten der Länder zu einer weiteren Sondersitzung.

Regierungssprecher Steffen Seibert verteidigte die Entscheidung, wieder Grenzkontrollen einzuführen, um die Kontrolle über den Flüchtlingsstrom nach Deutschland zurückzugewinnen. "Die Bundesregierung handelt immer so, wie es die Lage erfordert", sagte er auf die Frage, wie sich der Beschluss mit der Öffnung der Grenze für syrische Flüchtlinge vor einer Woche vertrage. Der Satz der Kanzlerin "Wir schaffen das" gelte weiter. "Aber wir schaffen das nicht über Nacht."

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann kündigte im Sender Bayern 2 an, dass die Grenzkontrollen mehrere Wochen andauern würden. Nach Deutschland beschlossen weitere EU-Mitglieder vorübergehende Personenüberprüfungen an ihren Grenzen. Österreich kündigte Kontrollen an seiner Grenze zu Ungarn an, auch Tschechien und die Slowakei verstärkten die Kontrollen. Wien kündigte an, in der Flüchtlingskrise auch Teile der Armee einzusetzen. Stichprobenartig wollen auch die Niederlande an ihren Grenzen Reisende überprüfen. In Ungarn verschärfte sich die Lage. Die Polizei schloss an der Grenze zu Serbien die letzte Lücke im neuen Zaun und damit den Hauptübergang für Flüchtlinge. Vom Flüchtlingslager Röszke aus seien Tausende Menschen mit Zügen Richtung österreichische Grenze gebracht worden, berichtete ein Reuters-Fotograf. In dem Erstaufnahme-Lager seien kaum noch Menschen, bestätigte ein AFP-Reporter. Ungarn verstärkte den Grenzschutz mit fast 900 Polizisten. Von diesem Dienstag an gilt in dem Land der illegale Grenzübertritt als Straftat.

© SZ vom 15.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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