Flüchtlinge:Hilflos gegen den Antisemitismus

Der Vorschlag der Integrationsministerin ist gut gemeint- mehr aber auch nicht.

Von Matthias Drobinski

Ja, es ist gut, ehemalige Konzentrationslager zu besuchen, um sich erschüttern zu lassen von den Zeugnissen des Leidens und des Mordens, um zu begreifen, wie Ideologie und Maschinerie des NS-Staates funktionierten, um zu sehen, wohin Antisemitismus und Rassenhass führen. Das gilt auch für Flüchtlinge, erst recht, wenn sie aus Ländern kommen, in denen die Judenfeindschaft zum Allgemeingut gehört und die Schoah als Erfindung geschäftstüchtiger amerikanischer Juden hingestellt wird.

Trotzdem wirkt der Vorschlag der Integrationsministerin Aydan Özoğuz, den Besuch von KZ-Gedenkstätten zum Teil der Integrationskurse zu machen, so gut gemeint wie hilflos. Zwei Stunden in Bergen-Belsen machen wohl die wenigsten Antisemiten zu Freunden der Toleranz. Und politische Bildung lebt von der Freiwilligkeit - Zwangsaufklärung bewirkt manchmal sogar das Gegenteil des Beabsichtigten.

Die Judenfeindschaft unter Muslimen ist ein ernstes Problem, das zeigt der Bericht des Expertenkreises Antisemitismus. Er zeigt aber auch: Das größere Problem ist der Antisemitismus der alten und der neuen Rechten. Und dann gibt es da das wabernde Vorurteil unter den ganz normalen Bürgern - und jeder Flüchtling, der das mitkriegt, kann sich bestätigt fühlen in dem, was in der Heimat so gesagt wurde über diese Juden. Antisemitismus bekämpfen ist eine Aufgabe für alle, mit und ohne Gedenkstättenbesuch.

© SZ vom 25.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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