Flüchtlinge:Familiennachzug - im Prinzip ja

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Der Punkt, um den die Koalition streitet, betrifft bisher wenige Flüchtlinge. Es könnten bald sehr viel mehr Menschen sein.

Haben Ausländer aus Nicht-EU-Staaten das Recht, ihre Familie nach Deutschland zu holen?

Grundsätzlich ja. Allerdings bezieht sich dieses Recht nur auf Ehegatten und minderjährige Kinder. In der Regel muss der Lebensunterhalt der Zuziehenden ohne Sozialleistungen gesichert sein und ausreichender Wohnraum für sie bereitstehen. Außerdem muss der nachziehende Teil des Ehepaares einen Sprachtest bestehen.

Gilt das auch für Flüchtlinge?

In den ersten drei Monaten nach ihrer Anerkennung dürfen Flüchtlinge Ehegatten und Kinder nachkommen lassen, ohne für sie Lebensunterhalt, Wohnraum und Sprachkenntnisse nachweisen zu müssen. Das gilt für Menschen, die entweder Asyl nach dem Grundgesetz oder Flüchtlingsschutz gemäß der Genfer Konvention erhalten. Ihnen gleichgestellt hat die Berliner Koalition seit August auch Flüchtlinge, die einen subsidiären Schutzstatus erhalten, weil ihnen im Heimatland ernsthafter Schaden droht. Dazu zählen beispielsweise Todesstrafe oder Bürgerkrieg. Doch nun will die Koalition den Familiennachzug zu diesen Flüchtlingen für zwei Jahre aussetzen.

Das Innenministerium will zurück zur alten Regelung, die vor August dieses Jahres galt.

Wie viele Menschen betrifft das?

Eigentlich sehr wenige. Nur 1230 Flüchtlinge erhielten in diesem Jahr bisher diesen subsidiären Schutz. Zahlenmäßig ins Gewicht würde der Koalitionsbeschluss nur fallen, wenn künftig auch Syrer Schutz nur noch subsidiär bekämen statt wie bisher nach der Genfer Flüchtlingskonvention - das ist der Kern des umstrittenen Vorstoßes von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU)

. Wie viele Familienangehörige kommen überhaupt auf dem Weg des Nachzugs nach Deutschland?

Das lässt sich nur schwer abschätzen. In diesem Jahr wurden in Deutschland bis Oktober 758 000 Flüchtlinge registriert, allerdings bislang nur 75 000 anerkannt. Wie viele von ihnen verheiratet sind oder Kinder haben, ist nicht erfasst. Klar ist nur: Mehr als die Hälfte der Ankömmlinge sind jünger als 25 Jahre, entsprechend gering wird demnach der Anteil verheirateter Familienväter unter ihnen sein. 2014 wurden in Deutschland rund 63 700 Aufenthaltserlaubnisse aus familiären Gründen erteilt. Doch dabei ging es nur zum Teil um die Verwandtschaft von Flüchtlingen, sondern auch etwa um Ehegatten von Deutschen und hier lebenden Ausländern - an erster Stelle lagen türkische Staatsangehörige. Der Trend zeichnete sich aber ab: Bei den Syrern zogen etwa 1600 Kinder, 900 Ehefrauen und 100 Ehemänner nach - insgesamt eine Steigerung von 250 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Wie lange müssen syrische Flüchtlinge auf Visa zum Familiennachzug warten?

Lange. Um ein Visum zu bekommen, müssen Angehörige persönlich in deutschen Konsulaten vorsprechen. An manchen Auslandsvertretungen dauert es mehr als ein Jahr, bis sie ihren Antrag stellen können. An der deutschen Botschaft in Beirut waren bereits im Sommer alle Termine bis Ende des Jahres vergeben, die Wartezeit im Generalkonsulat Istanbul betrug laut einer Antwort des Auswärtigen Amtes auf eine Anfrage der Linken fast 16 Monate.

Kann der Familiennachzug überhaupt eingeschränkt werden?

Das ist umstritten. Das Grundgesetz schützt Ehe und Familie, zudem gibt es Vorgaben durch europäisches Recht. Dies garantiere ein Zusammenleben der Familien, argumentieren die einen. "Es gibt kein Grundrecht, mit der Familie zusammenzuleben", sagt dagegen Daniel Thym, Juraprofessor an der Uni Konstanz. Es komme darauf an, ob es dem Flüchtling zuzumuten sei, sein Familienleben auch in einem anderen Land zu führen, etwa in der Türkei. "Unter Umständen kann die Familie ganz getrennt werden."

© SZ vom 10.11.2015 / HEID, JBB, RPR - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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