Flüchtlinge:Dreitausendachthundert

Auf dem Mittelmeer sterben in diesem Jahr so viele Menschen wie noch nie. Allein, wen interessiert das noch groß?

Von Bernd Kastner

Flüchtlinge stehen nicht mehr Schlange an der deutschen Grenze, so dass die Bundesregierung sich selbst lobt: Schaut her, unsere neuen Gesetze schrecken ab, der Türkei-Deal wirkt, alles ist besser als 2015. In Wahrheit ist gar nichts gut. Die Wahrheit ist eine Katastrophe, eine tägliche, eine tausendfache. 3800 Flüchtlinge sind in diesem Jahr bereits im Mittelmeer ertrunken, so viele wie noch nie. Allein, wen interessiert das noch groß? Wer untergeht, ist einfach weg, von dem gibt es keine Fotos. Das wirkt sich positiv aufs kollektive Befinden aus, so zynisch das auch klingt.

Dabei sind nicht weniger Menschen auf der Flucht, im Gegenteil. Es funktioniert nur die alte Bollwerk-Politik wieder, das Prinzip nennt sich "Dublin-Regel". Jetzt landen die Verzweifelten eben wieder in Italien, mehr als 150 000 allein in diesem Jahr. "Helft uns!", ruft Italiens Premier Renzi gen Europa. Sein Land schaffe es allein nicht mehr lange.

Immerhin, die trügerische Ruhe in Deutschland bietet der Bundesregierung eine große Chance. Sie sollte nicht nur Bürger und Behörden auf den gewiss kommenden nächsten großen Ansturm von Flüchtlingen vorbereiten. Vor allem darf sie nicht nachlassen, in Europa für eine gerechtere Verteilung der Geflüchteten zu werben. Und sie muss sich von "Dublin" verabschieden. Denn "Dublin" schottet zwar Deutschland ab, gefährdet aber Europas Stabilität noch weiter.

© SZ vom 28.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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