Flüchtlinge:Abschreckung hoch drei

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Die Flüchtlingszahlen gehen zurück - aber die Politik tut so, als würden sie weiter steigen. Sie propagiert noch mehr Abschreckung. Integration kommt im Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD viel zu kurz. Das ist Politik von gestern für die Probleme von heute.

Von Heribert Prantl

Die Asylbewerberzahlen gehen zurück; es ist, es wäre nun Zeit für Integration, Zeit für mehr Integration als bisher. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, zu dessen Hauptaufgaben die Integration gehört, könnte sich jetzt auch darauf konzentrieren. Aber die Politik steuert in eine andere Richtung. Sie steuert noch mehr in Richtung Abschreckung als bisher.

Das Sondierungspapier von CDU, CSU und SPD ist in den einschlägigen Teilen kein Integrationspapier, sondern ein Abschreckungspapier. Die Politik reagiert auf sinkende Flüchtlingszahlen phasenverschoben: Sie reagiert so, als wären die Zahlen dreimal so hoch. Sie macht eine Flüchtlingspolitik von gestern für die Probleme von heute und morgen. Die Hauptpunkte dieser Politik erschweren oder verhindern Integration.

Erstens: Asylbewerber sollen künftig während des gesamten Asylverfahrens in Großlagern untergebracht werden - nach bayerischem Vorbild. Es soll in ganz Deutschland sogenannte AnkER-Zentren geben, also Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungszentren. Es handelt sich um die Kasernierung der Flüchtlinge, um die Kasernierung ihrer Kinder und um die Kasernierung der Flüchtlingspolitik. Eine Betreuung der Flüchtlinge durch private Helfer ist in der Kaserne kaum noch möglich, eine Teilnahme der Flüchtlinge am normalen Leben auch nicht; die Rechtsberatung wird erschwert. Wer in den Großlagern ein Jahr oder länger die Zeit totschlagen musste und dann vielleicht doch als Flüchtling anerkannt wird - der ist womöglich gar nicht mehr integrationsfähig. Die Kasernierung ist praktizierte Abschreckung. Sie verkleinert die Probleme nicht, sondern vergrößert sie.

Eine Flüchtlingspolitik von gestern für die Probleme von heute

Zweitens: Zu den Anti-Integrations- und Abschreckungsmaßnahmen gehört auch der Umgang mit den Flüchtlingskindern. Neun von zehn Kindern fliehen mit ihren Eltern nach Deutschland, eines kommt allein. Wenn die Eltern heute in Bayern ins Flüchtlings-Großlager verbracht werden, werden ihre Kinder, auch wenn sie schon in Regelklassen lernen, dort herausgerissen und dann in die Minimalunterrichtsklassen im Lager gesteckt - um so den Vorschriften des Bayerischen Erziehungsgesetzes formal zu genügen. Ein Vorbild für den Bund ist das nicht. Der Umgang mit den Flüchtlingskindern verstößt schon jetzt gegen die Kinderrechtskonvention; in Zukunft noch mehr.

Drittens: Die sinkenden Flüchtlingszahlen müssten eigentlich Anlass sein, die auf Eis gelegte Familienzusammenführung wieder aufzutauen: Kinder brauchen ihre Eltern, Eltern ihre Kinder. Familienzusammenführung ist die Basis für Integration. Das Sondierungspapier zerstört diese Grundlage. Sie will den sogenannten Familiennachzug, der für zwei Jahre ausgesetzt war, auch weiterhin aussetzen. Das heißt: Flüchtlinge, die jetzt zwei Jahre lang darauf gewartet und sich darauf eingestellt haben, dass sie von 16. März an die Chance auf ein Leben mit ihrer Familie haben - denen wird von der Politik die Zunge herausgestreckt. Das Wort "Vertrauensschutz", das zu den wichtigsten Wörtern des Rechts zählt, gilt für Flüchtlinge nicht mehr. Ihr Vertrauen darauf, dass von Mitte März an Familienzusammenführung wieder möglich ist, wird enttäuscht.

Flüchtlingspolitik darf nicht nur Rückführungspolitik, sie muss auch Integrationspolitik sein. Wenn diese Seite verkümmert und verkommt, dann ist das zum Schaden der Gesellschaft.

© SZ vom 17.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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