Fehltage:Der Nächste, bitte!

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"Niedrige Krankenstände stehen nicht für mehr Gesundheit": Nicht immer sind die Grenzen zwischen Krankheit und Gesundheit auf den ersten Blick zu sehen. (Foto: imago)

Es gibt viele Gründe, sich krankschreiben zu lassen. Auffällig ist allerdings: Die Fehltage der Deutschen sind im Laufe der Jahre mehr geworden. Das aber muss nicht schlecht sein.

Von Kim Björn Becker

Der gelbe Zettel ist rasch ausgefüllt: Für jede Diagnose gibt es ein eigenes Kürzel, die gängigsten hat der Arzt im Kopf. Dann noch das Datum der Untersuchung sowie das voraussichtliche Ende der Arbeitsunfähigkeit vermerken - schon kann der Patient wieder nach Hause geschickt werden. Der Nächste, bitte!

Gerade im Winter, wenn Viren und Bakterien die Runde machen, wenn die Hälse der Deutschen kratzen und ihre Nasen laufen, schreiben Hausärzte ihre Patienten im Akkord krank. Zuletzt verbrachten die Bundesbürger wieder etwas mehr Zeit im Bett: Im Durchschnitt war jeder Arbeitnehmer im vergangenen Jahr 15,2 Tage krankgeschrieben, 2014 waren es nur 14,4 Tage gewesen. Das geht aus einem vorläufigen Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) in Dortmund hervor, der gerade beim Bundesarbeitsministerium liegt. Die Bild-Zeitung hatte zuerst über die Zahlen berichtet.

Auch langfristig betrachtet zeigt sich ein steigender Trend bei den Fehlzeiten; vor zehn Jahren lag der Krankenstand noch bei 12,2 Tagen pro Jahr und Arbeitnehmer. Dass die Zahlen von Jahr zu Jahr schwanken, sei aber "völlig normal", sagt eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums.

Dabei wertet die Dortmunder Behörde stets die Krankschreibungen der Versicherten von vier gesetzlichen Krankenkassen aus. Zuletzt waren dies 31 Millionen Kassenpatienten, das entspricht etwa 44 Prozent aller gesetzlich Versicherten bundesweit. Gezählt wird zudem schon vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an. Andere Statistiken zum Krankenstand beziehen dagegen häufig nur Atteste ein, die mindestens drei Tage umfassen - weil der gelbe Zettel üblicherweise erst vom dritten Tag an vorgezeigt werden muss, wenn der Arbeitgeber nichts anderes verlangt.

Arbeitnehmer, die 45 Jahre und älter sind, fallen deutlich länger aus als Jüngere

Dass der Krankenstand der Deutschen im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre angestiegen ist, führen Arbeitsmediziner vor allem darauf zurück, dass die Menschen im Land immer älter werden. Denn Arbeitnehmer, die 45 Jahre und älter sind, fallen im Krankheitsfall deutlich länger aus als ihre jüngeren Kollegen, sagt Hans Drexler, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin und Umweltmedizin: "Das erklärt, warum der Krankenstand langsam ansteigt." Darüber hinaus gibt es noch eine Reihe von Gründen, welche die jährlichen Schwankungen erklären können. Der naheliegende: Die unvermeidliche Winter-Erkältung erwischt mal mehr und mal weniger Menschen, das kann die Statistik spürbar beeinflussen. Parallel zum Bericht der BAUA hat zum Beispiel auch die Krankenkasse AOK bei ihren Versicherten einen Anstieg der Fehltage von 2014 auf 2015 festgestellt - und die Entwicklung vor allem auf vermehrte Atemwegserkrankungen zurückgeführt. Die Zahl der Erkrankungen habe im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent zugenommen, heißt es in der Studie, jeder dritte AOK-Versicherte wurde wegen einer Erkältung vom Arzt krankgeschrieben. Dabei müsse zwischen der üblichen Erkältungs- und einer richtigen Grippewelle unterschieden werden, sagt Drexler. In diesem Winter gebe es bislang keine Anzeichen dafür, dass deutlich mehr Menschen als sonst am Influenzavirus erkranken.

Zudem kann das Winterwetter im Extremfall auch einen Einfluss auf den Krankenstand nehmen: Wenn besonders viel Schnee und Eis die Straßen überzieht, dann stürzen Passanten öfter, und Verkehrsunfälle häufen sich - und mit ihnen die Patienten in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. "Vorstellbar ist, dass sich die Wetterlage bei einem extrem strengen Winter wie 2010 auf den Krankenstand auswirkt", sagt der Arbeitsmediziner Drexler.

Und dann spielt natürlich die wirtschaftliche Lage eine Rolle . "Wer Angst um seinen Job hat, schleppt sich gelegentlich auch mal mit einer Erkältung ins Büro", sagt Dennis Nowak, Arbeitsmediziner an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Präsentismus nennen es die Ärzte, wenn Arbeitnehmer trotz Krankheit ins Büro gehen. Dass der Stuttgarter Autobauer Daimler kürzlich ankündigte, seinen Mitarbeitern einen Bonus zu bezahlen, wenn sie gar nicht oder nur selten krank sind, sei ein fatales Signal, sagt Nowak.

Insgesamt ist der volkswirtschaftliche Schaden durch kranke Angestellte aber erheblich. Die BAUA rechnet vor, dass 2015 fast 590 Millionen Arbeitstage durch Krankentage weggefallen sind, das macht rechnerisch 1,6 Millionen ausgefallene Erwerbsjahre. Die deutsche Wirtschaft hat das geschätzt 113 Milliarden Euro gekostet, das wären fast 3000 Euro je Arbeitnehmer - oder 193 Euro für jeden Tag mit gelbem Zettel. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland da im Mittelfeld: Die OECD-Staaten gaben 2007 durchschnittlich zehn Prozent ihrer Sozialausgaben für Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowie für Invalidenrenten aus, in Deutschland betrug der Anteil neun Prozent. Spitzenreiter waren die Skandinavier, am unteren Ende lagen Kanada, Japan und die Türkei.

© SZ vom 20.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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