Familiennachzug:Härte ist der Fall

Lesezeit: 3 min

Das Auswärtige Amt genehmigt den Nachzug nur in extremen Ausnahme­situationen. Dabei soll es bleiben.

Von Constanze von Bullion und Roland Preuß

Kaum ein Thema ruft bei Union und SPD, aber auch in der Öffentlichkeit, so viel Unbehagen hervor wie der Familiennachzug von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz. Ein Grund: Es geht um verfassungsrechtlich geschützte Grundwerte. Ein zweiter: die hohe Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen. Ein dritter: die Praxis beim Nachzug von Angehörigen zu Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz in Deutschland. Sie gestaltet sich oft zäh. Weshalb Menschrechtsgruppen und Flüchtlingsorganisationen umso mehr Druck machen.

Wer als Flüchtling in Deutschland Asyl genießt, kann enge Familienangehörige nachholen. Das gilt auch für Schutzbedürftige nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Für Flüchtlinge mit subsidiärem, also mit eingeschränktem Schutzstatus, gilt ein solcher Anspruch nicht, wenn sie nach März 2016 ins Land gekommen sind. Seitdem ist der Familiennachzug ausgesetzt. Die meisten Syrer, die 2016/17 nach Deutschland kamen, können deshalb keine Verwandten nachholen. Diese Regelung gilt nach dem nun beschlossenen Kompromiss noch bis Ende Juli, bis dahin soll eine Neuregelung her. Unverändert bleiben soll hingegen die Regelung für Härtefälle, ein besonders umstrittenes Element beim Familiennachzug. Mit der Härtefallregelung wollte die große Koalition subsidiär Geschützten in schwierigen Situationen den Nachzug Angehöriger ermöglichen. Nach Auskunft des Auswärtigen Amts gilt diese Regelung "allein in Fällen einer humanitären Notlage". Um als Härtefall eingestuft zu werden, müssen Antragsteller im Herkunftsland nachweisen, dass sich ihre Lage "von den Lebensumständen im Aufenthaltsland deutlich abhebt und aus der eine dringende Gefahr für Leib und Leben des Betroffenen folgt". Mit anderen Worten: Nur wo die Lage einer Familie im Herkunftsland schlimmer ist als die ihrer Nachbarn, gibt es eine Chance auf Familienzusammenführung. Nach dem Urteil eines Verwaltungsgerichts und Protesten von Menschenrechtsgruppen wird inzwischen aber auch die Lage von minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland stärker berücksichtigt. In der Praxis wird Familiennachzug nach der Härtefallklausel aber in der Regel nur bewilligt, wenn es um schwere Krankheiten oder Behinderungen geht, um tragische Schicksale oder um einen besonders jungen unbegleiteten Flüchtling. Ergebnis: Die Härtefallregelung greift nur selten. 2017 wurde dem Auswärtigen Amt zufolge in 96 Härtefällen ein Visum ausgestellt. In 42 Fällen konnten Verwandte zu einem minderjährigen Flüchtling in Deutschland ziehen, in 30 Fällen reisten Minderjährige Eltern oder anderen erwachsenen Angehörigen nach.

Dass es bei dieser Regelung nun bleiben soll, ruft bei Menschenrechtsorganisationen Proteste hervor. "Wenn nicht ganz besondere Schicksale vorgetragen werden, nehmen die Botschaften gar keine Vorprüfung der Anträge vor", sagt etwa Adriana Kessler, Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation Jumen. "Es ist verfassungswidrig, das Grundrecht auf Familie ohne Einzelfallprüfung auszusetzen." Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl reichte am Dienstag im Bundestag eine Petition mit rund 30000 Unterschriften ein. Die Forderung: Das Parlament müsse den Familiennachzug auch für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutz sofort zulassen.

In den meisten europäischen Ländern ist der Familiennachzug kein großes Thema

In den meisten europäischen Ländern ist der Familiennachzug hingegen kein großes Thema. Wenn, dann werden eher Verschärfungen diskutiert, so wie in Dänemark. Dort können Flüchtlinge mit subsidiärem Schutz erst nach drei Jahren beantragen, dass Partner und Kinder nachkommen dürfen, die Regelung ist also strenger als in der Bundesrepublik. Die rechtspopulistische Dänische Volkspartei fordert dennoch härtere Vorgaben. Beim Nachbarn Schweden ist die Lage ähnlich. Schweden hat so wie Deutschland in der Flüchtlingskrise besonders viele Menschen aufgenommen. 2015 verschärften die Schweden allerdings die Gesetze; wer nach Ende November 2015 Asyl beantragte, hat jetzt schlechte Chancen, seine Familie nachzuholen. Politische Debatten finden darüber nur mehr am Rande statt.

Auch in der Schweiz und Österreich können subsidiär Geschützte einen Nachzug frühestens nach drei Jahren beantragen - und müssen weitere Voraussetzungen erfüllen.

Es gibt allerdings auch EU-Länder, die die Sache anders handhaben: In Frankreich und Spanien können auch subsidiär Geschützte per Antrag engste Angehörigen nachholen. Der Familiennachzug hat dort aber auch eine kleinere Dimension als in Deutschland, da 2015/16 viel weniger Flüchtlinge kamen. In Italien ist das anders: Die Italiener haben seit Jahren mit vielen Migranten und Asylsuchenden zu tun, erst kürzlich registrierten die Behörden einen deutlichen Anstieg der Bootsflüchtlinge. Dennoch können auch Menschen mit eingeschränktem Schutz Familiennachzug beantragen. "Flüchtlinge und subsidiär Geschützte sind seit 2007 völlig gleichgestellt", sagt Christopher Hein, der lange Jahre den italienischen Flüchtlingsrat leitete. Allerdings sei die praktische Umsetzung oft schwierig, die Wartezeiten lange. Das Recht auf Familiennachzug werde jedoch nicht ernsthaft bestritten. In Italien zähle die Familie viel. "Das wird hier als eine Art Naturrecht gesehen", sagt Hein.

© SZ vom 31.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: