Fahrverbot gegen Feinstaubalarm:Grün-Schwarz macht blau

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In Stuttgart ist die Luft immer wieder schwer belastet. Deshalb will die baden-württembergische Landesregierung eine neue Umweltzone in der Stadt erzwingen.

Von Josef Kelnberger

Die Grünen, schon wieder eine Verbotspartei? Hier werde nichts verboten, sagt Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Dienstag, als er das Maßnahmenpaket seiner grün-schwarzen Regierung zur Verbesserung der Luftqualität vorstellt. "Hier wird gesteuert und gelenkt." Ob Verbot oder Lenkung, ist Interpretationssache, Tatsache bleibt: Vom nächsten Jahr an werden viele Dieselfahrer aus der Landeshauptstadt ausgesperrt. Sobald Stuttgart den "Feinstaubalarm" ausruft, haben nur Vehikel freie Fahrt, die die Abgasnorm Euro 6 erfüllen. Der erhoffte Lenkungs-Effekt: eine Umrüstung der Fahrzeugflotte. Möglichst viele Autofahrer sollen bald ein umweltschonenderes Gefährt kaufen. Das Autoland Baden-Württemberg greift als erstes Bundesland zu diesem Mittel - ein Erfolg für die Grünen. Die CDU wollte sich als Anti-Verbotspartei profilieren, beugt sich nun aber den offensichtlichen Zwängen.

Kretschmann räumte ein, dass die Einigung vor allem dem Druck der Gerichte zu verdanken ist. Nach einer Anwohnerklage musste sich das Land vergangenes Jahr verpflichten, von 2018 an Fahrverbote in Stuttgart zu verhängen, wenn die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid weiterhin nicht eingehalten werden. Inzwischen hat auch die Deutsche Umwelthilfe Klage eingereicht; das vom Kabinett gebilligte Paket ist eine Reaktion darauf. Einer Einigung innerhalb der Koalition förderlich war auch der kalte Winter. Wegen der Inversionswetterlage wurde der Grenzwert für Feinstaub (50 Mikrogramm pro Kubikmeter) im Stuttgarter Kessel 2017 bereits an 31 Tagen überschritten; erlaubt sind nur 35 Überschreitungen im Jahr. Das ist ein Zeichen: Mit dem bisherigen Feinstaubalarm, der freiwilligen Autoverzicht fordert, wird das Problem nicht zu lösen sein.

Ministerpräsident Kretschmann und sein Stellvertreter, der Innenminister Thomas Strobl von der CDU, wollen nun den grün-schwarzen Schulterschluss demonstrieren und gemeinsam bei Kanzlerin Angela Merkel um Unterstützung werben. Für die Schaffung einer neuen, "blauen" Umweltzone, in der Diesel nur zugelassen sind, wenn sie die Euro-Norm 6 erfüllen, bräuchte die Landesregierung die Unterstützung des Bundes. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) weigert sich jedoch. Begründung: unzumutbar für Dieselfahrer. Denn betroffen vom Verbot sind noch Autos, die 2015 zugelassen wurden. Deshalb lehnen es auch SPD-geführte Bundesländer bisher ab, die Bundesratsinitiative von Baden-Württemberg zu unterstützen.

Doch das könnte sich vielleicht ändern. Die parteilose Berliner Verkehrssenatorin Regine Günther sprach sich am Dienstag ebenfalls für ein Fahrverbot aus. Und in Nordrhein-Westfalen schloss der grüne Umweltminister Johannes Remmel ein Verbot jedenfalls nicht mehr aus.

Selbst Autos, die 2015 zugelassen wurden, wären vom Verbot betroffen

Sollte es aber so schnell keine Bundesregelung für eine blaue Plakette geben, will Baden-Württemberg auf eigene Faust ein "Luftreinhaltenetz" im Stuttgarter Talkessel schaffen und an Feinstaubalarm-Tagen Fahrverbote auf Basis der Straßenverkehrsordnung verhängen. Auf den Verbotsschildern stünde dann: "Gilt nur für Dieselfahrzeuge unter Euro 6". Der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann nannte dieses Vorgehen , das ihm Dobrindt mit seiner Haltung aufzwinge, "ungeschickt". Das zu erwartende Chaos bei den Kontrollen wäre dann: ein Dobrindt-Chaos.

Hinweistafel zur Luftbelastung: Stuttgart ist besonders betroffen. (Foto: mauritius images/imageBROKER)

Weil Stuttgart in einem Talkessel liegt, hat die Stadt ihr Feinstaubproblem recht exklusiv in Deutschland. Viele andere Städte leiden aber ebenfalls unter erhöhten Stickoxid-Werten. In beiden Kategorien hat die EU bereits Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Einem Gutachten der Landesregierung zufolge ist die "blaue Plakette" das Mittel der Wahl im Kampf gegen die Stickoxide. Was Feinstaub betrifft, ist der Unterschied zwischen Euro 5 und Euro 6 minimal. Ohnehin kommt Feinstaub nur zum geringen Teil aus dem Auspuff, sondern gelangt im Straßenverkehr vor allem durch Aufwirbelung und Abrieb der Reifen in die Luft. Die "blaue Zone" würde den Feinstaub also vor allem dadurch reduzieren, dass Autos ausgesperrt werden. Weniger Emissionen und weniger Verkehr: Nur so lasse sich das Ziel erreichen, bis 2020 die Stuttgarter Luft gemäß den EU-Grenzwerten zu säubern, sagt Verkehrsminister Hermann.

Kretschmann will unbedingt die blaue Plakette, auch um den Diesel zu retten

Die Luftverschmutzung ist seit Jahren ein Dauerbrenner der Politik im Südwesten. Die Regierung hat sich nun auf ganzes Bündel von Maßnahmen geeinigt, darunter Tempolimits, Förderung alternativer Antriebe, auf Wunsch der CDU der Ausbau von Straßen, die den Verkehr um Stuttgart herum lenken sollen. Aber die Fahrverbote sind der weit reichendste Schritt.

"Es geht um mehr als die Luft", sagt Kretschmann in seinem Plädoyer für die blaue Plakette. Sie sende ein Signal: "Es gibt einen sauberen Diesel." In den vergangenen Monaten sei der Absatz von Dieselfahrzeugen rund um Stuttgart eingebrochen, eine Plakette würde den Autofahrern wieder Planungssicherheit geben. Deutschland brauche den Diesel auf absehbare Zeit noch aus zweierlei Grünen: Zum einen hingen Zehntausende Arbeitsplätze daran, zum anderen ließen sich nur mit Dieselfahrzeugen die Klimaziele erreichen.

Nach den Vorstellungen von Kretschmann und Hermann soll die blaue Plakette nicht nur an Feinstaub-Alarmtagen, sondern dauerhaft gelten, sobald 80 Prozent der gemeldeten Autos die Anforderungen erfüllen, voraussichtlich 2020. Derzeit entsprechen nach Angaben der Stadt Stuttgart nur 34 000 der 107 000 gemeldeten Dieselfahrzeuge der Euro-6-Norm. Auf die Frage, was er "armen Schluckern" zu sagen habe, die sich keinen neuen Diesel leisten können, erwidert Kretschmann: Sie müssten auf andere Verkehrsmittel umsteigen, und vielleicht würden "soziale Härtefälle" vom Verbot ausgenommen. Mit Ausnahmegenehmigungen für 20 Prozent der Fahrzeugflotte kalkuliert die Regierung, darum dürfte um die Ausgestaltung der Umweltzone noch hart gerungen werden. Die CDU pocht auf Ausnahmen für Lieferanten, für Handwerker und auf Härtefallregelungen für Anwohner. Der grüne Verkehrsminister Hermann sagt hingegen zur Sozialdebatte: "Arme Schlucker sind vor allem die Leute, die an den Straßen mit erhöhter Schadstoffbelastung leben."

© SZ vom 22.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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