Fahrrad:Neue Regeln im Straßenkampf

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Berlin hat als erstes Land der Republik ein Fahrradgesetz. Kern ist die "Vision Zero", niemand soll mehr im Straßenverkehr sterben müssen oder verletzt werden. Das klingt illusorisch, doch es gibt Vorbilder.

Von Jens Schneider

Mit dem Frühling kommen die Bilder von heiteren Radlern jeden Alters in die Magazine und Zeitungen. Sie zeigen junge Familien bei der Radtour, gern mit den Großeltern, die grandios fit sind oder auf einem Elektrobike sitzen. Unbeschwertheit prägt die Bilder. Autos tauchen nicht auf, und wenn doch, halten die Fahrer respektvoll Abstand, es ist genug Platz da. Die Idylle spiegelt den gerade durch die E-Bikes angefachten Boom wider. Mit der Realität in unseren Städten hat sie nichts gemein.

Dort herrscht ein Verteilungskampf um immer knapper werdenden Platz. Im Alltag benehmen sich Radler und Autofahrer oft, als ginge es um ein Entweder-oder im Streit um den besten Startplatz vor der Ampel; so, als müsste sich jeder seinen Platz im Berufsverkehr erstreiten. Für die Radfahrer geht es dabei oft ums Überleben: 17 Radler starben allein 2016 in der deutschen Hauptstadt im Straßenverkehr. Schon deshalb ist das bundesweit einzigartige Fahrradgesetz überfällig, mit dem der Berliner Senat Radlern jetzt mehr Sicherheit bringen will.

Im Mittelpunkt steht die "Vision Zero". Alle Regelungen sollen dem Ziel dienen, die Zahl der getöteten oder schwer verletzten Verkehrsteilnehmer auf null zu senken. Die Zielsetzung drückt einen Grad von Menschenfreundlichkeit aus, der mit der Tradition der Verkehrspolitik bricht. Die ist seit Jahren von dem Selbstverständnis geprägt, dass dort, wo gehobelt wird eben Späne fallen und dort, wo gefahren wird halt Menschen sterben.

Die Opfer werden in Kauf genommen, als gäbe es keine Alternative. Ein Blick in andere Städte wie Kopenhagen zeigt, dass es sie gibt und die "Vision Zero" real werden kann. Berlin hat wie viele deutsche Städte enormen Nachholbedarf. Jahrelang wurde ignoriert, dass immer mehr Menschen auch im Alltag lieber mit dem Fahrrad als mit dem Auto fahren - selbst wenn es sich wie eine ungewollte Mutprobe anfühlt. Längst sind es so viele geworden, dass ein paar Radwege an den Seiten der Straßen nicht mehr genügen.

Berlin hat nun die "Vision Zero", die Zahl der Verkehrstoten soll auf null gesenkt werden

Die Radler brauchen mehr und vor allem geschützten Platz. Dazu gehören auch Ideen wie die Fahrradschnellwege, die in Zeiten von Elektrobikes eine neue Bedeutung bekommen: Mit dem E-Antrieb kann man auch längere Strecken etwa zum Arbeitsplatz radeln, ohne bei der Ankunft erst mal duschen zu müssen.

Ist das nun - wie die Berliner CDU behauptet - ein Feldzug gegen die Autofahrer? Das wäre es, wenn man im Verteilungskampf nur die Gewichte verschieben wollte. Statt eines Kriegs um den Platz braucht es Konzepte, die alle berechtigten Ansprüche einbinden. Dazu gehören selbstverständlich die Autofahrer. Auch Optionen wie Leihautos in den Städten müssen ausgebaut werden. Das Berliner Gesetz kann nur der Anfang sein.

Die tägliche Konfrontation auf den Straßen ist nicht alternativlos. Es gibt intelligente Lösungen, etwa für Abbiegespuren, die Radler und Autofahrer so voneinander trennen, dass sie vor Unfällen bewahrt werden. Auch für Menschen am Steuer eines Autos ist es doch beklemmend, dass sie ständig befürchten müssen, Radler zu erfassen, die nicht genug geschützt sind. Es muss eine Selbstverständlichkeit werden, in einer Großstadt wie Hamburg, Berlin oder München ohne Angst aufs Rad steigen zu können, jederzeit und mit jedem Ziel.

© SZ vom 08.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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