Evangelischer Kirchentag:"Nicht Wutbürger - Mutbürger"

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Stuttgart 21, der Atomausstieg und die Afghanistan-Debatte: Dresden ist auch ein politischer Kirchentag und an Diskussionsstoff hätte es nicht gefehlt. Doch die scharfe Auseinandersetzung bleibt aus, Applaus bekommen irgendwie alle.

Matthias Drobinski, Dresden

Am Ende geht der Kirchentag baden. Zu Dutzenden stehen die Besucher beim Abschlussgottesdienst in der Elbe und kühlen in aller Andacht Füße und Waden, zu Tausenden haben sie die grünen Kirchentagsschals als Sonnenschutz um den Kopf gebunden. Noch einmal posaunen die Posaunen, tröpfelt fromme Popmusik ins Ohr, singt der Chor. Pfarrerin Ulrike Trautwein aus Frankfurt ermutigt zum aktiven Christsein und warnt vor falschen Heilsversprechen, wie so viele Predigten in den vergangenen Tagen. Dann dankt die Kirchentagspräsidentin Katrin Göring-Eckardt den Dresdnern: Gläubigen, Ungläubigen, Zweiflern. 120.000 Christen klatschen, der erste wirklich gesamtdeutsche Kirchentag geht zu Ende.

"Ein Fenster zum Himmel und eine Tür zur Welt": Kirchentagsbesucher am Sonntag beim Abschlussgottesdienst. (Foto: dpa)

Am Samstag, dem Tag vor diesem Abschluss, ist auf dem Messegelände der "Markt der Möglichkeiten" überfüllt, wo die Fülle der Friedens-, Öko-, Eine Welt- und Sozialinitiativen im kirchlichen Raum zu besichtigen ist. Der Mediziner und Kabarettist Eckard von Hirschhausen lässt die 5000 Leute, die sich gerade noch um einen Platz in der Halle 1 geschubst haben, den Beatles-Klassiker "All you need is love" singen - Skeptiker dürfen anfügen: "Wenn's so einfach wär." Und dann kommt Angela Merkel, die Bundeskanzlerin, in einem Jackett, das so pink ist wie die Kirchentagsfahnen, die hier überall wehen.

Sie redet mit John Akyekum Kufuor, der bis 2009 Präsident Ghanas war, über ein neue Weltordnung. Sie tritt ein für eine bessere Zusammenarbeit der Staaten, der Industrie- und Schwellenländer der G20-Gruppe, der Vereinten Nationen; fordert weltweite Religionsfreiheit, kritisiert Handelsbarrieren in den reichen Ländern. Sie erklärt, dass es richtig sei, Flüchtlinge aus humanitären Gründen aufzunehmen - bei Wirtschaftsflüchtlingen aber müsse es Grenzen geben. Hier widerspricht ihr Kufuor ein einziges Mal und fordert Großzügigkeit, die 5000 im Saal aber stehen auf der Seite der Kanzlerin und spendieren reichlich Applaus.

Merkel hat ein Heimspiel auf dem Kirchentag, erst recht, als sie sagt, dass sie nach der Katastrophe von Fukushima "die Frage, was ist Restrisiko, anderes sehe, als ich das vorher getan habe." Drei junge Leute stimmen einen Kanon an: "Angie, leiste Widerstand / du als mächtige Frau in diesem Land / gegen die Konzerne!" Ein Hauch von Aufruhr weht durch den Saal. Dann kommen Ordner.

Ein bisschen Streit mit Margot Käßmann

Es sei ein sehr politischer Kirchentag gewesen, heißt es bei den Veranstaltern. Tatsächlich: Der Streit um Stuttgart 21, die Atomausstiegs- und die Afghanistan-Debatte haben den Angehörigen der gebildeten Bürgergesellschaft, die der Kirchentag mehrheitlich versammelt, gezeigt, dass sich Engagement und Protest lohnen können. Ein übergreifendes Thema aber gibt es nicht, selten die grundsätzliche Auseinandersetzung. Das Publikum applaudiert allen, die Moderatoren fragen nicht zu scharf nach. Es sei ein differenziert zuhörender Kirchentag, sagt Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, nach seiner Diskussion mit Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU), der auch Mitglied im Kirchentags-Präsidium ist. 1981, beim Hamburger Treffen, trafen den damaligen Verteidigungsminister Hans Apel noch Eier; heute nehmen die Besucher einem Minister ab, dass er im Grunde den Frieden will - und nur die Welt halt anders ist.

Dass es überhaupt ein bisschen Streit gibt, liegt an Margot Käßmann, der ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden und Bischöfin von Hannover, zurückgetreten vor 15 Monaten nach einer Alkoholfahrt. Am Donnerstag hat sie gesagt, es sei im Zweifel besser, mit den Taliban zu beten, als Tanklastzüge zu bombardieren. Das empörte de Maizière sehr, was wiederum dazu führte, dass Käßmann sich bei eigentlich allen ihrer Auftritte sich zu Afghanistan äußern musste. Überflüssig zu sagen, dass alle ihre Veranstaltungen überfüllt sind und ein guter Teil der Gespräche in Dresden davon gehandelt haben, ob Margot Käßmann einzigartig sei für ihre Kirche - oder nervend.

So ist das Treffen dahingegangen, politisch, fromm oder selbsterfahrungsfroh wie beim Auftritt des indischen Yoga-Meisters Ravi Shankar in der Lutherkirche, der zwar den Leuten gefiel, dem Berliner Weltanschauungsbeauftragten Thomas Gandow aber weniger. Der Kirchentag, so sagt seine Präsidentin Göring Eckardt in den Sommerwind, sei "ein Fenster zum Himmel und eine Tür zur Welt". Nicht Wutbürger, sondern "Mutbürger" hätten sich versammelt. Viel Herz für eine bessere Welt: Mit dieser Botschaft im Gepäck gehen die 120.000 hinaus, um die Züge zu überfüllen.

© SZ vom 06.06.2011/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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