Europäische Union:Zaudern und zahlen

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Wo bleibt der Reformeifer für die Wirtschafts- und Währungsunion? Das wichtigste Projekt der EU dümpelt vor sich hin - aus falscher Verzagtheit. Dabei wäre gerade jetzt der Moment günstig, die Defizite der Union auszubügeln.

Von Alexander Mühlauer

Es ist erstaunlich ruhig geworden um Griechenland, und auch um Italien oder Frankreich - jedenfalls, was deren Haushaltszahlen betrifft. Ginge es nach den Regeln der Europäischen Union, müsste die Kommission schon längst Blaue Briefe an die Defizitsünder verschicken, denn die Zahlen haben sich seit einem Jahr kaum verändert. Geändert hat sich aber der Umgang mit dem Defizit: Es gibt mehr Nachsicht und vor allem mehr Zeit zum Sparen und Reformieren.

Das ist angesichts der Flüchtlingskrise und der Angst vor dem Terror auch verständlich. Doch wenn der Präsident der Euro-Gruppe und die beiden für die Wirtschafts- und Währungsunion zuständigen Kommissare diese Woche vor das Europaparlament treten und über die Zukunft des Kontinents sprechen, dürfen sie eines nicht vergessen: Es waren stets ökonomische Ziele, die Europas Gemeinschaft stärker gemacht haben. Dies könnte eigentlich wieder so sein, denn neben den Reformen im Kielwasser der Flüchtlingskrise ist und bleibt die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion das zentrale Reformprojekt der EU.

Gerade das unwürdige Schauspiel mit Griechenland in diesen Sommer hat offenbart, dass es an Instrumenten fehlt, die Ungleichgewichte in den Volkswirtschaften besser auszubalancieren und damit Krisen von den Euro-Staaten fernzuhalten. Genau diese Krisen werden aber wieder kommen. Nicht nur in Griechenland.

Wenn die Währungsunion nicht reformiert wird, kommt die Krise

Portugal etwa hat eine neue Regierung die erst noch beweisen muss, dass sie die beschlossenen Reformen weiter trägt. In Spanien wird noch vor Weihnachten gewählt - wie die neue (oder vielleicht auch alte) Führung auf Brüsseler Reformwünsche reagieren wird, weiß niemand. Was man aber schon weiß: Italien und Österreich veranschlagen hohe Haushaltsposten für die Bewältigung der Flüchtlingskrise. Frankreichs Präsident hat nach den Anschlägen von Paris klar gemacht, dass der "Sicherheitspakt" wichtiger sei als der "Stabilitätspakt".

Der Präsident der EU-Kommission hat seinerseits bereits mehr "Flexibilität" im Umgang mit Defizitländern vorgegeben - und dies zum Teil seiner Strategie erklärt, Europas mächtigste Behörde "politischer" zu führen. Strenge Regeln, wie sie der Stabilitäts- und Wachstumspakt vorgibt, werden seither ins Verhältnis zu nationalen politischen Zwängen gestellt. In Ausnahme-Situationen wie bei Terroranschlägen oder in der Flüchtlingskrise ist dies richtig. Aber Ausnahmen dürfen nicht aus Prinzip zur Regel erklärt werden. Diese Gefahr besteht, denn die Junckersche Kommission ist seit ihrem Amtsantritt äußerst kreativ bei der Frage, wie sich "Flexibilität" ausgestalten lässt. Die Behörde muss deshalb darauf achten, nicht zu flexibel zu sein. Als Hüterin der Verträge darf sie sich nicht verbiegen lassen; und schon gar nicht darf sie die gemeinsamen Regeln strecken, die das Fundament der EU bilden.

Wie schwer man es als ökonomischer Mahner hat, erlebt zurzeit Deutschland. Die Rolle Berlins hat sich im Laufe des Jahres verändert: Im Sommer, bei der Griechenland-Rettung, brauchten die anderen die Hilfe der Deutschen. Jetzt, im Winter, brauchen die Deutschen die Hilfe der anderen. Kein Wunder, dass Berlin seine Reformwünsche für Wirtschaft und Währung zurückhaltend anbringt. Das führt dazu, dass die Bundesregierung bei weiteren Integrationsschritten bremst, etwa bei der EU-Einlagensicherung.

Im Sinne der Gemeinschaft ist diese taktische Zurückhaltung nicht, denn wenn die Wirtschafts- und Währungsunion nicht endlich modernisiert wird, kommt die nächste Euro-Krise ganz bestimmt. Spätestens dann wird wieder gezetert über nationale Interessen - obwohl man es hätte besser wissen müssen.

© SZ vom 14.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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