Europäische Union:Jenseits des Sinns

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Miteinander und aneinander vorbei: Belgiens Regierungschef Charles Michel, Frankreichs Präsident François Hollande, Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Griechenlands Premier Alexis Tsipras. (Foto: Emmanuel Dunand/AFP)

Absurdes Theater: Die EU-Mitgliedstaaten erklären erneut, was alles nicht im Assoziierungs-Abkommen mit der Ukraine steht. Regie haben dabei niederländische Rechtspopulisten geführt.

Von Daniel Brössler und Thomas Kirchner, Brüssel

Es war einmal ein Abkommen, das einem geschundenen Land eine bessere Zukunft verhieß. Geschlossen wurde es wegen "der Bedeutung, die die Ukraine ihrer europäischen Identität beimisst und unter Berücksichtigung der starken Unterstützung, die die Entscheidung der Ukraine für Europa in der Öffentlichkeit des Landes findet". So steht es in der Präambel des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und der Ukraine. 2014 wurde es unterzeichnet, gegen gewaltigen Widerstand und zu einem ungeheuren Preis, bezahlt von den Opfern auf dem Maidan und im Osten der Ukraine.

Mark Rutte verhandelt hart. Damit alle sehen: Der Mann verhandelt hart

Am Donnerstag nun beschlossen 28 Staats- und Regierungschefs in Brüssel einen Text, der klarstellt, welchen Wert dieses Opfer nicht haben soll: "Wiewohl es das Ziel der Vertragsparteien ist, auf der Grundlage gemeinsamer Werte eine enge und dauerhafte Beziehung aufzubauen, verleiht das Abkommen der Ukraine nicht den Status eines Beitrittskandidaten der Union, noch enthält es eine Verpflichtung, einen solchen Status in Zukunft zu gewähren", heißt es da. Punkt für Punkt listet die rechtlich verbindliche Erklärung auf, was dieses Assoziierungsabkommen nicht ist.

Es ist eine absurde Übung. Ein Abkommen, das von der Ukraine, 27 EU-Staaten und dem Europäischen Parlament ratifiziert ist, kann gar nicht mehr verändert werden. In der Erklärung kann deshalb nichts stehen, was das Abkommen nicht hergibt. Und doch muss diese Übung sein; die Niederlande verlangen es. In einem Referendum haben sie das Abkommen im April nach einer Kampagne voller Unwahrheiten verworfen. Damit es doch durchs Parlament kommt, müssen nun 28 Staats- und Regierungschefs geloben, dass nicht im Abkommen steht, was nicht im Abkommen steht.

Also: Nicht im Abkommen steht - auch wenn es die Organisatoren des niederländischen Referendums behauptet haben -, dass die EU der Ukraine eine Sicherheitsgarantie oder andere militärische Hilfe gebe. Ebenfalls findet sich auf den 2135 Seiten kein Hinweis darauf, dass die Ukrainer künftig nach Belieben in den Unionsstaaten wohnen und arbeiten können (es heißt nur, man bemühe sich, "die Mobilität der Bürger zu erhöhen"). Trotzdem wurde das alles nun noch einmal explizit ausgeschlossen, ergänzt von der wohlfeilen Mahnung, dass Kiew den Kampf gegen Korruption nicht aufgeben sowie Rechtsstaat und Demokratie weiterhin respektieren möge - andernfalls das Abkommen auch wieder gekündigt werden könne. Dass mit der Erklärung der Eindruck entstehen kann, ein Beitritt sei für alle Ewigkeit ausgeschlossen, geht nicht nur einigen osteuropäischen Staaten und natürlich der Ukraine selbst zu weit, es offenbart auch ein problematisches Verständnis von Artikel 49 des EU-Vertrags: "Jeder europäische Staat, der die in Artikel 2 genannten Werte (Menschenrechte, Freiheit, Demokratie etc.) achtet und sich für ihre Förderung einsetzt, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden."

In Brüssel ist allen bewusst, dass es sich beim Ringen mit dem Niederländer Mark Rutte nicht zuletzt um eine Showveranstaltung handelte. "Da ist mehr Psychologie als Realpolitik im Spiel", sagte Österreichs Bundeskanzler Christian Kern am Donnerstag. Rutte will das Abkommen ja selbst, er muss nur glaubhaft demonstrieren, dass er im Sinne der heimischen Nein-Stimmer hartnäckig mit seinen europäischen Kollegen verhandelt hat. Es gehört zur Inszenierung, dass die Lösung so schwierig zu finden war und alles so lange gedauert hat - acht Monate -, allerdings nicht so lange, dass ein allzu großer Schatten auf die niederländische Wahl im kommenden März fällt. Solche Scheingefechte werden gerne "Brüssel" angelastet. In Wahrheit ist das Problem aber ein rein holländisches.

Die Niederlande laborieren seit bald zwanzig Jahren an Versuchen, ihrem politischen System durch nationale Referenden mehr direkte Demokratie beizumischen. Federführend waren Linksliberale, aber zunehmend haben Populisten entdeckt, dass sich damit erreichen lässt, was mangels parlamentarischer Mehrheit sonst unmöglich wäre. Etwa Sand ins Getriebe der verhassten EU zu werfen. Als Mitte 2015 das konsultative Referendum eingeführt worden war, stürzten sich EU-Gegner auf das erstbeste Gesetz, mit dem sich ihr Ziel erreichen ließ: das Gesetz zur Ratifikation des Ukraine-Abkommens. Die Kampagne fuhr Rutte mit halber Kraft, es gelang ihm nicht, seinen zunehmend europaskeptischen Landsleuten den Sinn des Abkommens überzeugend zu erklären.

Dass der Ministerpräsident in Brüssel nun, wie es die Zeitung Volkskrant formuliert, einen "Ziegenpfad durch den Morast des Ukraine-Abkommens" suchen musste, hat er sich auch selbst zuzuschreiben.

© SZ vom 16.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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