Europäische Union:Freundliche Empfehlung

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EU-Sicherheitskommissar Julian King will eine gesetzliche Regelung nicht ausschließen, hält sie aber aus Sorge um die Meinungsfreiheit nur für die zweitbeste mögliche Lösung. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Der Kampf gegen Online-Hetze soll freiwillig bleiben: Sicherheitskommissar Julian King sorgt sich um die Meinungsfreiheit.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Im Kampf gegen illegale Inhalte im Internet hält die EU-Kommission vorerst an der freiwilligen Selbstverpflichtung der Plattformen fest. Gleichzeitig präsentiert die Behörde strenge neue Regeln zum Umgang mit terroristischen Inhalten. Unter anderem verlangt sie, dass solche Inhalte innerhalb von höchstens einer Stunde aus dem Netz entfernt werden. Eine gesetzliche Regelung, die dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz entspräche, hält sich die Kommission weiterhin ausdrücklich offen, sieht dies aber aus Sorge um eine mögliche Auswirkung auf die Meinungsfreiheit offenkundig als zweitbeste Lösung an. "Der freiwillige Ansatz bleibt unser Favorit", sagte Sicherheitskommissar Julian King in Brüssel.

Am Donnerstag legte seine Behörde eine "Empfehlung" mit weiteren Maßnahmen und Forderungen an die Plattformen vor. Sie ist verbindlicher als eine "Kommunikation" aus dem vergangenen Jahr zum selben Thema und enthält nun auch präzise Definitionen von Schlüsselbegriffen wie "content provider", auf die sich nationale Gerichte berufen könnten. Die Empfehlung kann, muss aber nicht in ein europäisches Gesetz münden.

2016 hatte die Kommission einen Verhaltenskodex entworfen, den bisher Facebook, Youtube, Microsoft, Twitter, Google+ und Instagram akzeptiert haben. Darin verpflichten sich die Unternehmen, Hasskommentare aus dem Netz zu entfernen. Meist geht es um Aufrufe zu Gewalt oder Hass gegen Schwule und Lesben, Ausländer, Muslime oder bestimmte Volksgruppen. Einer Auswertung von Ende Januar zufolge löschen die Plattformen inzwischen etwa 70 Prozent der beanstandeten Inhalte, und zwar weit überwiegend innerhalb von 24 Stunden. Im Mai 2017 lag die Quote bei 59 Prozent, Ende 2016 bei 28.

Die Maßnahmen, welche die Kommission empfiehlt, zielen aber nicht nur auf Hetze, sondern auch auf die Darstellung sexuellen Missbrauchs von Kindern, Produktfälschungen und Urheberrechtsverletzungen. Wichtig seien reibungslose Prozeduren beim Benachrichtigen und Löschen, mit einem schnelleren Zugang für vertrauenswürdige Partner wie Behörden oder Nichtregierungsorganisationen. In gewissen Bereichen, "wo etwas ohne Kontextualisierung als illegal erkannt werden kann", also etwa bei Terror, Kinderpornografie oder Produktfälschungen, müssten auch proaktiv Technologien zur automatischen Blockierung eingesetzt werden. Der Branchenverband Bitkom kritisierte, die Kommission propagiere Upload-Filter, "faktisch eine massenhafte maschinelle Zensur im Internet".

Terroristische Propaganda stellt nach Ansicht der Kommission noch immer ein großes Sicherheitsrisiko dar. Es bestehe ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Botschaften des Islamischen Staats und jüngsten Anschlägen in der EU, sagte King: Solche Inhalte richteten gerade in den ersten Stunden Schaden an und sollten daher rasch entfernt werden, nachdem Ermittler die Plattformen darauf hingewiesen hätten. Die Zusammenarbeit mit Behörden müsse besser werden. An die Mitgliedstaaten appelliert die Kommission, Kapazitäten aufzubauen, um solche Inhalte besser zu entdecken und die Plattformen schneller informieren zu können. Internet-Unternehmen sollten dafür sorgen, dass die Inhalte nicht erneut hochgeladen werden.

Was das deutsche Vorgehen betrifft, bleibt die Kommission weiterhin freundlich distanziert. Sie verstehe die Intention von Bundesjustizminister Heiko Maas, sagte Justizkommissarin Věra Jourová. Doch erhalte sie von den Plattformen das Signal, dass diese im Zweifelsfall lieber löschten, als ganz genau hinzusehen. Das wolle die Kommission aber gerade nicht. Sie sei zufrieden, wenn 70 Prozent der illegalen Inhalte zuverlässig entfernt würden. Der Rest seien vermutlich Zweifelsfälle, die man im Interesse der Meinungsfreiheit akzeptieren müsse. Nun sei sie gespannt, ob und wie Deutschland sein Gesetz verbessern werde. Kommissions-Vizepräsident Andrus Ansip sagte, Deutschland tue sich nach seiner Beobachtung schwer damit, zwischen Hassrede und zulässigen Meinungsäußerungen zu unterscheiden.

Ansip sprach sich auch gegen eine grundlegende Änderung der Haftungsregelung von Plattformen aus. In der E-Commerce-Richtlinie hat die EU im Jahr 2000 festgelegt, dass digitale Plattformen grundsätzlich nicht für illegale Inhalte auf ihren Seiten verantwortlich gemacht werden können. Stattdessen müssen sie solche Inhalte nur entfernen, wenn sie darauf hingewiesen werden.

© SZ vom 02.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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