Europäische Union:Emotional, zielstrebig, hilflos

Lesezeit: 3 min

Finale eines schwierigen Jahres: EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk und der slowakische Ministerpräsident Robert Fico (von rechts) bei ihrer Gipfel-Pressekonferenz in Brüssel. (Foto: Olivier Hoslet/dpa)

Auf dem letzten EU-Gipfel des Jahres zeigt sich noch einmal die ganze Palette an Problemen. Referenden, Flüchtlingskrise, der Umgang mit Russland, der Konflikt in Syrien. Manches wird schöngeredet.

Von D. Brössler, T. Kirchner und A. Mühlauer, Brüssel

In der trockenen Sprache der Gipfelbeschlüsse liest es sich harmlos. "Sorgfältig zur Kenntnis genommen" habe man das Ergebnis des Referendums in den Niederlanden über das Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine. So heißt es mit Verweis auf eine Erklärung, die den Holländern nun doch noch die Zustimmung ermöglichen soll. Tatsächlich lieferten sich die Staats- und Regierungschefs bei ihrer letzten Sitzung in diesem Jahr eine höchst emotionale Debatte über Volksabstimmungen und ihre potenziell zerstörerische Wirkung für die EU.

Auch das Referendum in Dänemark riefen sie in Erinnerung, bei dem die Bürger zum Entsetzen der Regierung ihr Land aus der EU-Polizeibehörde Europol gezwungen hatten. Ohnehin in der Luft lagen die Folgen des Brexit-Votums. Referenden seien nun mal nicht zu verhindern, aber dann müsse man sie eben auch gewinnen, wurde einer der Gipfelteilnehmer zitiert.

Spürbar war die Unsicherheit darüber, wie es die USA künftig mit Sanktionen halten werden

Viel weniger emotional als in der Vergangenheit klärten die Chefs hingegen die Verlängerung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland wegen dessen Rolle im Krieg in der Ukraine. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Staatspräsident François Hollande über die "sehr schleppende" Umsetzung des Minsker Abkommens berichtet hatten, gab es gegen die Verlängerung der Sanktionen um sechs Monate keinerlei Widerspruch. Forderungen, die Strafmaßnahmen sogar um zwölf Monate zu verlängern, fanden allerdings keine Zustimmung. Spürbar war die Unsicherheit darüber, wie es die USA nach dem Amtsantritt von Donald Trump mit den Sanktionen halten werden. "Es ist zu früh, um seriös sagen zu können, wie die mögliche neue Politik der neuen amerikanischen Regierung gegenüber Russland aussehen wird", bekannte EU-Ratspräsident Donald Tusk.

Eine gewisse Hilflosigkeit zeigte sich auch im Umgang mit dem Horror in Syrien. Die EU-Spitzen forderten "das Regime und Russland sowie alle Parteien im Syrien-Konflikt dringend auf", unverzüglich Notfallmaßnahmen zu ergreifen. Der Ostteil von Aleppo müsse evakuiert werden; die Menschen müssten "in Sicherheit und Würde zu einem Ort ihrer Wahl" gebracht werden. Überdies verlangt die EU den Schutz medizinischen Personals und aller medizinischen Einrichtungen in ganz Syrien sowie die Beachtung des humanitären Völkerrechts im Ostteil von Aleppo, aber auch im ganzen Land. Bundeskanzlerin Merkel nannte die Diskussion über Aleppo "sehr deprimierend, weil wir alle etwas sehen, im 21. Jahrhundert, was zum Schämen ist, was das Herz bricht, was zeigt, dass wir politisch nicht so handeln konnten, wie wir gerne handeln würden".

In der Flüchtlingspolitik bekräftigten die Staats- und Regierungschefs ihren Kurs. An der Vereinbarung mit der Türkei halten sie fest, obwohl die Rückführung von Flüchtlingen noch immer nicht funktioniert, und trotz des zunehmend repressiven Kurses der Regierung in Ankara.

Tusk wurde beauftragt, frühestens im März ein weiteres Gipfeltreffen zwischen der EU und der Türkei zu organisieren. Die EU-Politiker sehen sich durch den Erfolg der Kooperation bestätigt: Es kommen kaum noch Flüchtlinge. Was die Route über das Mittelmeer nach Italien betrifft, begrüßten die Gipfelteilnehmer die neuen Migrationspartnerschaften mit fünf afrikanischen Ländern als "wichtiges Instrument, um die illegale Migration und ihre eigentlichen Ursachen zu bekämpfen". Herausgekommen ist zunächst wenig, bis auf eine "Erfolgsgeschichte", welche die Außenbeauftragte Federica Mogherini vortrug: Niger durchquerten statt monatlich 70 000 irregulären Flüchtlingen - wie noch im Mai - nur noch 1500. Weitere Länderpartnerschaften werden erwogen. "Es muss noch mehr getan werden", sagte Tusk.

Das gilt auch für die Reform des Asylsystems. Wo nichts vorangeht, helfen die Politiker sich selbst gern mit einer Frist auf die Sprünge. Deshalb soll die Reform nun bis Ende Juni abgeschlossen werden. "Das Ziel lautet, einen Konsens herzustellen", sagte Tusk. Gelänge dies, bedeutete es Rückenwind für Merkel vor der Bundestagswahl. Sehr wahrscheinlich ist es aber nicht. Gerade in den wichtigsten Fragen, dem von der Kommission vorgeschlagenen dauerhaften Mechanismus zur Umverteilung von Flüchtlingen und der damit verbundenen Frage, was unter "flexibler" oder "effizienter" Solidarität zu verstehen wäre, sind die Positionen extrem weit auseinander. Sicher, irgendwann wird ein Kompromiss gefunden werden müssen. Die Frage ist, ob man ihn noch glaubwürdig als Erfolg verkaufen können wird.

Wie immer steckt der Teufel im Detail. So findet sich in den Beschlüssen noch eine harmlos anmutende Passage. Darin bekräftigt der Rat, dass die Energieunion bis 2018 vollendet werden soll, also inklusive Klimaschutzzielen. Es folgt aber der Nachsatz: "Bis dahin müssen bestimmte zentrale Fragen gelöst werden." So weit, so unklar. Wäre da nicht eine präzise formulierte Fußnote, die Umweltschützer empören dürfte: "Für Polen bedeutet dies u.a. die Freiheit, seinen Energiemix festzulegen und die Sicherheit der Energieversorgung zu gewährleisten." Dazu muss man wissen: Die Regierung in Warschau versteht unter "Energiemix" vor allem Kohle.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: