Europäische Union:Einheit oder Geschwindigkeit

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Beim Gipfel in Brüssel sucht die EU nach ihrer Zukunft. Thema sind das Wirtschaftswachstum und die Lage auf dem Westbalkan.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Es ist fast schon Tradition: Über die Zukunft der Europäischen Union reden die Staats- und Regierungschefs ohne jene Dame, die das ohnehin nichts mehr angeht. So werden sie es auch beim aktuellen EU-Gipfel halten. An diesem Donnerstag wird erst einmal über Wirtschaftswachstum gesprochen und die besorgniserregende Lage auf dem Westbalkan. Die wichtigen Weichenstellungen für die EU stehen dann am Freitag auf dem Programm, wenn die britische Premierministerin Theresa May nicht mehr dabei ist. Dann soll es um den Jubiläumsgipfel gehen, den Italien zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge ausrichtet. Am 25. Mai soll dort soll eine Erklärung verkündet werden, die vermittelt, wo die EU in zehn Jahren stehen will. Das erweist sich - auch ohne Frau May - als schwierig.

Ob Harmonie oder Streitlust herrscht, wird Tusks Wiederwahl als Ratspräsident zeigen

"Ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten ist notwendig, sonst werden wir wahrscheinlich stecken bleiben", hatte Kanzlerin Angela Merkel am Montag bei einem Treffen mit Frankreich, Italien und Spanien in Versailles gesagt. In dieselbe Kerbe schlug Präsident François Hollande, der dafür plädierte, "dass wir neue Formen der Zusammenarbeit für neue Projekte entwickeln", damit "das eine oder andere Land schneller vorangehen" könne. Für manche klang das wie eine Drohung oder "Warnung", wie es ein hochrangiger EU-Beamter formulierte. Wenn in Rom ein Baby geboren werde, solle es "Unity" heißen, nicht "Multispeed" - Einheit also statt verschiedener Geschwindigkeiten. EU-Ratspräsident Donald Tusk sehe seine Aufgabe darin, den Laden zusammenzuhalten.

Der Verdacht, Merkel wolle mit ihren Gedankenspielen Druck auf störrische Mitgliedsländer vor allem im Osten ausüben, ist in Brüssel weit verbreitet. "Wenn Multispeed die Fragmentierung Europas bedeutet, wären die Folgen verheerend", sagt ein Botschafter. In Berlin versteht man, wie so oft, die ganze Aufregung nicht. Es gehe doch um gar nichts Neues, sondern um "gelebte Praxis", heißt es aus der Bundesregierung. Schon jetzt gingen Einzelne in einigen Bereichen voran, andere folgten. Das stimmt, lässt aber offen, warum die Kanzlerin das Thema nun plötzlich so betont.

Wie viel Harmoniebedürfnis und wie viel Streitlust herrscht, wird auch eine Personalie zeigen: Kurioserweise leistet Polen Widerstand gegen die Wiederwahl des Polen Donald Tusk als Ratspräsident. In Berlin rechnet man trotzdem mit einer "überwältigenden Mehrheit" für Tusk, dem Polens Ministerpräsidentpräsidentin Beata Szydło in einem dramatischen Brief an ihre Kollegen im Rat nicht weniger als einen Umsturzversuch unterstellte. Der von ihr nominierte Europaabgeordnete Jacek Saryusz-Wolski ist ohne jede Chance. Gespannt ist man in Brüssel nur, wie weit Szydło den Eklat beim EU-Gipfel zu treiben entschlossen ist.

© SZ vom 09.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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