Europäische Union:Arithmetik der Macht

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Wenn Noch-EU-Parlamentspräsident Martin Schulz geht, gerät das Brüsseler Gleichgewicht ins Wanken. Das Rennen zwischen Sozialdemokraten, Konservativen und Liberalen um seine Nachfolge hat begonnen.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Es war keine leichte Woche für Gianni Pittella. Und wie es aussieht, wird es so schnell nicht besser. Der Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament hatte Abgeordnete noch zu Beginn der Woche eingeschworen, dass es nur einen Kandidaten für die Wahl zum Parlamentspräsidenten geben könne: Martin Schulz. Dumm nur, dass eben dieser ein paar Tage später seinen Wechsel nach Berlin bekannt gab. Und genauso dumm, dass dies Pittellas Fraktion nicht von ihrem Vorsitzenden erfahren durfte, sondern aus den Medien. Nun geht es in Brüssel um die Frage: Wer folgt Schulz?

Die Antwort darauf führt über Pittella. Der Italiener will zunächst am 7. Dezember als Fraktionsvorsitzender wiedergewählt werden. Bis dahin darf er natürlich nicht von seiner Kampfansage abweichen: "Das Gleichgewicht der politischen Familien muss unbedingt bewahrt werden!" Kurzum: Es darf nicht sein, dass die drei wichtigsten Brüsseler Institutionen von Christdemokraten geführt werden. Als da wären: EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk und vielleicht bald auch noch ein konservativer Parlamentspräsident. Dass dieser aus dem Kreis der Europäischen Volkspartei (EVP) kommen soll, hatte Schulz einst zugesagt.

EVP-Fraktionschef Manfred Weber pocht auf diese Vereinbarung; am 13. Dezember wollen die Christdemokraten ihren Kandidaten nominieren. Die Erwartung der EVP ist klar: 2014 stützte die Volkspartei Schulz, weil sie mit den Sozialdemokraten eine große Koalition bildet. Nun soll es auch in die andere Richtung funktionieren. Ein Selbstläufer ist das nicht. Die Frage ist nämlich, was Pittellas Fraktion dafür bekommt, sollte sie einen EVP-Abgeordneten zum Präsidenten wählen. Jetzt kann man natürlich sagen: Die Sozialdemokraten hatten ja Schulz. Doch der ist bald Vergangenheit in Brüssel.

Immer wieder wird deshalb über die Zukunft von Juncker und Tusk spekuliert. Der polnische Ratspräsident könne nicht im Amt bleiben, wenn ein Konservativer Parlamentspräsident werde, sagte der italienische Europa-Staatssekretär Sandro Gozi am Tag von Schulz' Entscheidung, nach Berlin zu wechseln. Tusk gab sich diese Woche betont gelassen und auch Juncker machte nicht den Eindruck, dass er sein Amt deshalb aufgeben will.

Weber wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als einen Kandidaten vorzuschlagen, den Pittella in der sozialdemokratischen Fraktion durchsetzen kann. Auch das wiederum ist keine leichte Aufgabe. Denn bei den Sozialdemokraten gibt es genug Abgeordnete, die sich das Präsidentenamt zutrauen. Nur: Am Ende musste eben auch Schulz erkennen, dass die EVP sich nicht auf eine Verlängerung seiner Amtszeit einlassen würde. Und so dürfte es auch ein neuer sozialdemokratischer Kandidat äußerst schwer haben, Weber vom Gegenteil zu überzeugen.

Kein Wunder, dass in dieser Lage die Liberalen Hoffnung hegen. Am Freitag gab die Französin Sylvie Goulard ihre Kandidatur bekannt. Auch die EVP-Aspiranten machen Wahlkampf. Die Irin Mairead McGuinness und der Franzose Alain Lamassoure gelten als Favoriten; wobei Lamassoures Aussichten sich verschlechtern dürften, wenn sein Schulfreund Alain Juppé im Duell um die französische Präsidentschaftskandidatur am Sonntag unterliegt.

In Brüssel geht es in den kommenden Wochen um die Arithmetik der Macht. Pittella und Weber ziehen die Strippen. Und wer weiß, vielleicht auch noch einmal Schulz. Der hatte ja am Donnerstag betont, dass dieser Tag noch nicht der Abschied sei.

© SZ vom 26.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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