Europa:Polnisches Arrangement

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Ob er nach Mai 2017 weiter amtiert, hängt auch von Polens Regierung ab: EU Ratspräsident Donald Tusk. (Foto: Alexandros Vlachos/dpa)

Es ist nicht Sympathie, was den EU-Ratspräsidenten Tusk und die Regierung seines Heimatlandes verbindet. Im Mai 2017 endet seine Amtszeit, ob sie verlängert wird, hängt auch von Warschau ab.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Liebeserklärungen klingen anders, und doch müssen die Botschaften, die EU-Ratspräsident Donald Tusk dieser Tage aus der Heimat erreichen, erfreuen. "Natürlich bekunden wir immer Unterstützung für Polen auf hohen internationalen Posten", sagte der polnische Außenminister Witold Waszczykowski. Das war auf Tusk gemünzt, dessen Amtszeit im Mai 2017 endet. Ob er sich Hoffnung auf weitere zweieinhalb Jahre an der Spitze des Europäischen Rates machen kann, hängt wesentlich davon ab, ob die national-konservative Regierung in Warschau sich für eine Verlängerung einsetzt.

Dagegen spricht die ausgeprägte Abneigung des Chefs der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (Pis), Jarosław Kaczyński, gegen den langjährigen liberal-konservativen Ministerpräsidenten. Kaczyński sieht in Tusk eine zentrale Figur der angeblichen Verschwörung zur Verschleierung der wahren Ursache des Flugzeugabsturzes, bei dem 2010 sein Bruder Lech, der damalige Präsident, im russischen Smolensk ums Leben gekommen war. Tusk könne gar, so war nach dem Machtwechsel in Polen gemutmaßt worden, vor dem Staatstribunal landen.

Der Regierung geht auf, dass es besser ist, ihn in Brüssel zu haben, als gar keine Stimme

Das klingt nun ganz anders. "Die polnische Diplomatie unterstützt Polen und wird das auch weiterhin tun", versicherte Waszczykowski. Für eine Festlegung in der Frage des Ratspräsidenten sei es aber noch zu früh, innerhalb eines Jahres könne viel passieren. Konkret wurde indes die Pis-Abgeordnete und Sprecherin ihrer Fraktion, Beata Mazurek. "Wenn Tusk Polen nicht schadet, dann erhält er unsere Unterstützung", sagte sie. Die polnische Regierung steht wegen des Konflikts um das Verfassungsgericht in der EU unter Druck; die EU-Kommission hat aus Sorge um die Rechtsstaatlichkeit in Polen ein Verfahren gestartet. Den Regierenden in Warschau scheint aufzugehen, dass es in dieser Situation besser sein könnte, Tusk in Brüssel zu haben, als gar keine polnische Stimme. Tusk wiederum agiert in Sachen Polen mit äußerster Vorsicht. Zwar unterstützt er das Vorgehen der EU-Kommission, eine Konfrontation mit den Mächtigen in Warschau aber vermeidet er.

Präsident Andrzej Duda gab er bei dessen Antrittsbesuch mit Verweis auf "Star Wars" zwar den Rat, es sei nie zu spät, auf die "helle Seite" zu wechseln. Ansonsten aber bemühte er sich um Ausgleich. "Polen hat keine Feinde in der EU", sagte er. In einem zentralen Politikfeld agierte Tusk überdies durchaus im Sinne Polens und der anderen Staaten Mittelosteuropas - und das zeitweise als fast schon offener Gegenspieler von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Tusk setzte sich in der Flüchtlingskrise für eine Schließung der Balkanroute ein und befürwortete die Sperrung der mazedonisch-griechischen Grenze.

Zu Frust im Kanzleramt hatte im Dezember auch ein prägnanter Satz Tusks geführt. "Diese Flüchtlingswelle ist zu groß, um sie nicht zu stoppen", hatte er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt. Der Streit drehte sich dabei weniger um das Ziel als um die Mittel. Merkel wollte keine Grenzschließungen und setzte stattdessen auf den Deal mit der Türkei. Tusk wollte das eine, ohne das andere zu lassen. Die Verhandlungen mit der Türkei unterstützte er, reiste auch selber nach Ankara. Er blieb auch bei dieser Unterstützung, als sich viele Staats- und Regierungschefs beim EU-Türkei-Gipfel im März von einem plötzlichen weitreichenden Vorschlag aus Ankara überrumpelt fühlten.

Tusk sieht nun in den drastisch zurückgegangenen Flüchtlingszahlen auch die Früchte seiner Arbeit. "Als die Liste der unilateralen Grenzschließungen Tag für Tag länger wurde, war es meine Priorität, Monate der Teilungen zu beenden und die Mitgliedsstaaten hinter einem neuen Konsens zu versammeln, der auf einer umfassenden Ansatz fußte", heißt es in einem bunten Rechenschaftsbericht, den Tusk gerade veröffentlicht hat. Der Ansatz bestehe einerseits in der Schließung der Balkanroute und andererseits in der Vereinbarung mit der Türkei. In Brüssel wird die 80-seitige Broschüre mit vielen Fotos als Beginn von Tusks Wahlkampagne verstanden.

Breiten Raum nimmt darin auch die während eines dramatischen Gipfels erzielte Vereinbarung mit Großbritannien ein, die eine Reihe von Zugeständnissen für den Fall enthält, dass die Briten am 23. Juni für den Verbleib in der EU stimmen. "Es war kein ästhetisches Spektakel und weit davon entfernt, glamourös zu sein. Wichtig aber ist, dass kein Mitgliedstaat den Tisch verlassen hat", resümiert Tusk. Mit dem Deal jedenfalls gewann Tusk deutlich an Statur, was seine Wiederwahlchancen stärken dürfte.

Ob es Gegenbewerber gibt, ist bisher unklar. Nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler kokettierte der Österreicher Werner Faymann, er könne nach Europa wechseln. Angebote habe "es genug gegeben". Faymanns Zickzackkurs in der Flüchtlingskrise dürfte indes bis zur Entscheidung nicht vergessen sein - jedenfalls nicht im Berliner Kanzleramt.

© SZ vom 11.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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