Europa:EU eröffnet Verfahren gegen Warschau

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Brüssel sieht die Rechtsstaatlichkeit Polens in Gefahr und will die umstrittene Reform des Verfassungsgerichts prüfen.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Erstmals in ihrer Geschichte hat die Europäische Union wegen Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit ein Prüfverfahren gegen eines ihrer Mitglieder eingeleitet. Nach einer Entscheidung der EU-Kommission am Mittwoch muss sich Polens neue nationalkonservative Mehrheit im Rahmen eines erst 2014 geschaffenen Verfahrens rechtfertigen. "Wir wollen dabei helfen, dass die Rechtsstaatlichkeit erhalten bleibt und, wo nötig, bei der Suche nach Lösungen helfen", sagte der Erste Vizepräsident der Kommission, Frans Timmermans. Sorge bereite der Kommission, dass bindende Entscheidungen des polnischen Verfassungsgerichts von anderen Institutionen des Staates nicht respektiert würden. Das sei eine "ernste Angelegenheit".

Hintergrund ist ein Machtkampf um das polnische Verfassungstribunal. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Pis), die seit den Wahlen im vergangenen Oktober beide Kammern des Parlaments beherrscht, hatte im Eilverfahren die zuvor erfolgte Benennung von fünf Verfassungsrichtern rückgängig gemacht und fünf neue Richter bestimmt. Nur zwei dieser Ernennungen erkannte das Gericht als rechtmäßig an. Die Pis hatte kritisiert, dass die vorherige liberal-konservative Mehrheit die Richterwahlen vorgezogen habe, um die Dominanz von ihr berufener Richter im Tribunal langfristig zu sichern.

Es gehe nun darum, die Situation "in größerer Tiefe zu analysieren und einen Dialog mit den polnischen Autoritäten zu beginnen, ohne einen möglichen nächsten Schritt zu präjudizieren", sagte Timmermans. "Unsere Absicht ist es nicht, jemanden zu beschuldigen oder eine Polemik anzuzetteln", betonte er. Die Kommission suche das Gespräch mit der polnischen Regierung. Zu diesem Zweck habe er eine Reise nach Warschau angeboten.

Der polnische Regierungssprecher Rafał Bochenek sagte, es handle sich um ein Routineverfahren, das die Beziehungen Polens zur EU-Kommission nicht beeinflusse werde. Timmermans sei bereits zu Gesprächen eingeladen worden. Schon vor der Entscheidung vom Mittwoch hatten sich polnische Regierungsmitglieder jedoch die Kritik aus Brüssel verbeten. Justizminister Zbigniew Ziobro hielt Timmermans "ungerechtfertigte Beschuldigungen und unfaire Schlussfolgerungen" vor und führte dessen Kritik auf "linke Überzeugungen" des niederländischen Sozialdemokraten zurück. Er glaube dennoch, dass die polnische Regierung an einem Dialog interessiert sei, sagte Timmermans.

Das nun mit einer "vorläufigen" Prüfung beginnende Verfahren war 2014 auch auf Betreiben des damaligen Bundesaußenministers Guido Westerwelle eingeführt worden. Es soll sicherstellen, dass die Verpflichtung der EU-Staaten zur Rechtsstaatlichkeit in der Praxis durchgesetzt werden kann. In dem dreistufigen Verfahren gibt die Kommission zunächst eine Einschätzung ab, ob sie "systemische Gefahren" für die Rechtsstaatlichkeit sieht. Danach kann sie eine Empfehlung abgeben und in der dritten Stufe deren Umsetzung überprüfen. Im äußersten Fall könnte eine Prozedur nach Artikel 7 des EU-Vertrages mit Strafen bis hin zum Stimmrechtsentzug in Gang gesetzt werden.

© SZ vom 14.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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