EU:Union der Uneinigkeit

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Die EU gibt kein gutes Bild ab, viele Staaten sind sich selbst am nächsten. Nun soll eine Konferenz eines der dringendsten Probleme lösen: die Migrantenströme vom Balkan.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Womöglich war es gar nicht die Absicht von Angela Merkel und François Hollande, der EU-Kommission eine Freude zu machen. Gelungen ist es ihnen trotzdem. "Wir fühlen uns sehr ermutigt durch diesen starken Aufruf zu europäischer Einheit durch Kanzlerin Merkel und Präsident Hollande gestern", verkündete am Dienstag ein Kommissionssprecher. Was beide am Vorabend in Berlin gefordert hatten, um der europäischen Flüchtlingskrise Herr zu werden, stieß in Brüssel auf Wohlgefallen - allerdings auch auf einen kleinen Einwand. "Wir haben", erinnerte der Sprecher, "28 Mitgliedstaaten".

Tatsächlich hat sich durch das Berliner Treffen nicht viel geändert: In Kernfragen der Flüchtlingspolitik herrscht eine Uneinigkeit, die durch deutsch-französische Gemeinsamkeit nicht einfach verschwindet. Das gilt vor allem für die von beiden geforderte "faire Lastenverteilung" bei der Aufnahme Asylberechtigter. Mit einem eher moderaten Versuch in dieser Richtung ist die EU-Kommission jedenfalls bisher gescheitert. Im Mai hatte sie vorgeschlagen, 40 000 Flüchtlinge aus Italien und Griechenland über eine verbindliche Quote auf die ganze EU zu verteilen, angesichts des Flüchtlingsansturms eine ohnehin lächerlich kleine Zahl. Dennoch stieß das Vorhaben auf erbitterten Widerstand vor allem in den östlichen EU-Ländern, aber auch in Großbritannien, das sich wegen einer Ausnahmeregel nicht an dieser Politik beteiligen muss.

In Ländern wie Tschechien und der Slowakei begann eine leidenschaftliche Kampagne gegen die Quote, die als Ende nationalstaatlicher Souveränität dargestellt wurde. Tschechiens Präsident Miloš Zeman und der slowakische Ministerpräsident Robert Fico taten sich mit feindseligen Äußerungen gegenüber Flüchtlingen aus muslimischen Ländern hervor. Aus der Slowakei kam jüngst gar die Idee, nur Christen aus Syrien aufzunehmen.

Zäune oder Drohungen werden Migranten nicht abhalten, sagt der UN-Experte

Im Juli scheiterten die Innenminister folglich mit dem Versuch, die Zahl 40 000 auf freiwilliger Basis zu erreichen. Die nationalen Angebote erbrachten nur Plätze für 32 256 Menschen, die aus Griechenland und Italien in andere EU-Staaten umziehen sollen. Bis Ende 2015 sollen die fehlenden 7744 Plätze noch gefunden werden. Selbst wenn das gelingen sollte, stehen die Zeichen schlecht für den von der EU-Kommission angestrebten permanenten Krisen-Verteilungsmechanismus. Schon länger auf der Aufgabenliste steht auch die von Merkel und Hollande geforderte EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten. Zumindest in Teilen der Union herrscht Einigkeit darüber, dass EU-Beitrittskandidaten wie die Staaten des westlichen Balkan als sichere Herkunftsländer eingestuft werden sollten.

Groß ist mittlerweile die Zahl an Papieren und Vorschlägen aus der Kommission, dem Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten, die von einem besseren Schutz der EU-Außengrenze über Hilfe für Herkunftsländer bis hin zu dem Plan reichen, Aufnahmezentren außerhalb der EU zu errichten. Der Wust an Initiativen dokumentiert zwar Problembewusstsein, aber kaum Einigkeit, was die Problemlösung betrifft. Bei einer Konferenz am Donnerstag in Wien soll es nun um eines der akutesten Probleme gehen - die Flüchtlingsströme vom und über den Balkan.

Dramatisch ist die Lage etwa in Mazedonien, wo die Vereinten Nationen mit täglich 3000 Flüchtlingen rechnen. "Das ist die Route, die die meisten Menschen wählen", sagte die Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), Melissa Fleming, am Dienstag in Genf. "Wir sehen nicht, dass der Zustrom der Menschen in den kommenden Monaten abreißen wird", warnte sie. Bulgarien hat bereits reagiert - indem es Soldaten und Panzerfahrzeuge an der Grenze stationiert hat. Ungarn meldet unterdessen Rekord-Flüchtlingszahlen. Die ungarische Polizei teilte mit, am Montag seien fast 2100 Flüchtlinge über Serbien nach Ungarn eingereist - so viele wie noch nie an einem einzigen Tag.

Das Bild, das die EU angesichts der Krise insgesamt abgibt, ist kein gutes. "Lasst uns doch nicht so tun, als ob das, was die EU und ihre Mitgliedstaaten unternehmen, tatsächlich funktionieren würde", sagte der UN-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten, François Crépeau, am Dienstag in Genf. "Zäune zu errichten, Tränengas einzusetzen und andere Formen der Gewalt gegen Migranten und Asylsuchende, Festnahmen und die Verweigerung des Zugangs zu Obdach, Nahrung oder Wasser sowie Drohungen und Hassreden werden Migranten nicht davon abhalten, nach Europa zu kommen oder dies zu versuchen", sagte er.

Dass einige EU-Staaten Mindeststandards der gemeinsamen EU-Asylpolitik nicht einhielten, hatte auch Merkel kritisiert und die EU-Kommission zum Handeln aufgefordert. Diese verwies am Dienstag darauf, es gebe wegen Verstößen gegen die EU-Asylpolitik bereits 32 Vertragsverletzungsverfahren, darunter zwei gegen Deutschland. Großbritannien setzte am Dienstag seinen eigenen Akzent: Es kündigte an, die Politik gegen illegale Zuwanderer weiter zu verschärfen.

Überlebenszeichen: Rettungswesten am Strand von Kos. Flüchtlinge haben sie nach ihrer Landung dort zurückgelassen. (Foto: Yannis Behrakis/Reuters)
© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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