EU:"Sichere Orte" außerhalb Europas

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Schlepper schicken Flüchtlinge in klapprigen Booten auf die Reise. Bisher werden diejenigen, die auf offenem Meer gerettet werden, nach Europa gebracht. (Foto: Aris Messinis/AFP)

Innenminister Thomas de Maizière will Flüchtlinge in nordafrikanischen Asyllagern unterbringen.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Der Traum jedes Innenministers: Probleme draußen lassen. Otto Schily träumte ihn vor mehr als zehn Jahren, Thomas de Maizière träumt ihn jetzt. Er geht so: Die Flüchtlinge kommen gar nicht erst nach Europa, sondern werden in Asylzentren außerhalb der EU, möglichst auf ihren Kontinenten, abgefertigt. Wenige Schutzberechtigte lässt man rein, die "Wirtschaftsmigranten" schickt man nach Hause. Für die EU hätte das nur Vorteile: weniger Ertrunkene, kein Chaos in Italien, alles unter Kontrolle. Noch dazu würde eingelöst, was Finanzminister Wolfgang Schäuble in der Welt am Sonntag versprach: künftig "vieles von dem, was uns 2015 aus dem Ruder gelaufen ist, besser zu machen".

De Maizière warb am Donnerstag für seinen Traum, am Rande eines informellen Ministertreffens in Malta. Man müsse darüber nachdenken, sagte er, dass man alle, die sich "auf Schlepper eingelassen haben", an einen "sicheren Ort außerhalb Europas" bringe, um dann die Schutzbedürftigen - "und nur die Schutzbedürftigen" - von dort nach Europa zu holen.

In dem Satz steckt viel. Ein solches Vorgehen würde die EU-Politik stark verändern. Er passt zum Vorhaben der EU, einen unerwünschten Automatismus zu stoppen. Denn bisher werden Flüchtlinge, die man auf dem offenen Meer rettet, nach Europa gebracht, was genau im Sinne der Schlepper ist, die sie in klapprigen Booten auf die Reise schicken. Künftig sollen diese Boote gar nicht erst starten; Ägypten etwa bemüht sich darum. Oder man will sie noch in Küstennähe stoppen. Das soll dereinst die libysche Küstenwache übernehmen, mit Hilfe der EU.

Die Flüchtlinge einfach in Nordafrika abzuladen wäre ein Bruch des Völkerrechts. Die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) enthält das Non-Refoulement, das Prinzip der Nichtzurückweisung: Kein Flüchtling darf in ein Land zurückgeschickt werden, "wo sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seiner politischen Anschauung gefährdet ist".

Diese Gefahr besteht in Libyen oder anderen afrikanischen Staaten aber. Nun kommen de Maizières "sichere Orte" ins Spiel. Sie sind analog zu den "sicheren Gebieten" zu sehen, die der Minister in Afghanistan ausmacht. Das Konzept gibt es im EU-Recht (noch) nicht. Dort ist von "sicheren Drittstaaten" oder "sicheren Herkunftsländern" die Rede, in die abgeschoben werden darf. Nach Ansicht einiger EU-Politiker könnte man die GFK in Krisenzeiten auch weniger streng umsetzen.

Das Problem tauchte schon beim Deal mit der Türkei auf. Er funktioniert nur, wenn Griechenland Migranten in die Türkei zurückschicken darf. Ist sie ein "sicherer Drittstaat"? Das bezweifeln griechische Asylrichter. Im Prinzip aber soll der Deal als Vorbild für Abkommen mit afrikanischen Staaten dienen. Bei großem Ansturm will man die Masse der Migranten entweder von Europa fernhalten oder "ohne Asylsachprüfung" zurückführen - und wenigen einen legalen Zugang eröffnen.

Das geltende EU-Recht würde solche Abkommen nicht erlauben, weiß de Maizière. "Daran hindert uns die EU-Asylverfahrensrichtlinie mit ihren hohen Anforderungen an den ,sicheren Drittstaat'", schrieb er kürzlich in der FAZ. Um einen "wirksamen Massenzustrom-Mechanismus" zu erhalten, müsste die EU ihr Recht ändern. Statt der bisherigen hohen Anforderungen an den "sicheren Drittstaat" würde es dann reichen, "wenn am ,sicheren Ort' menschenwürdige und sichere Aufnahmebedingungen gewährleistet werden".

Gemeint sind jene Lager auf afrikanischem Boden, die schon Schily vorschwebten. Sie müssten "von der EU mit verantwortet werden, in Zusammenarbeit mit dem Partnerstaat und dem (UN-Flüchtlingshilfswerk) UNHCR", schreibt de Maizière. Sein Plan ähnelt dem Vorschlag des österreichischen Außenministers Sebastian Kurz, der nach australischem Vorbild empfahl, Flüchtlinge im Meer abzufangen und in ihre Heimat zurückzuschicken oder auf Inseln festzuhalten - und dafür gerade aus Deutschland heftig kritisiert wurde.

Auch die maltesische EU-Präsidentschaft denkt so. In einem vertraulichen Papier bittet sie die EU-Kommission zu klären, wie sich das Non-Refoulement auf eine Weise interpretieren lasse, die "die Umstände in Krisensituationen besser berücksichtigt". In der Kommission wird das für wenig realistisch gehalten. Andere EU-Staaten sind ebenfalls skeptisch. "Wo soll dieser sichere Ort außerhalb Europas sein?", fragt Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. "Machen wir uns da nicht etwas vor?" Die Lager müssten auf exterritorialem Gelände errichtet und streng bewacht werden, vermutlich von EU-Soldaten. "Welches Land wäre bereit, an so einem System mitzuarbeiten?" Auch das UNHCR falle als Partner aus, da es nicht in geschlossene Lager gehe.

"Wenn die Verzweiflung groß genug ist, wird das Recht eben ausgesetzt", sagt Gerald Knaus vom Thinktank Europäische Stabilitätsinitiative. Die Pläne seien " weltfremd". Um abschreckend zu wirken, müssten die Asylverfahren in den Lagern möglichst lange dauern. "Die Idee, dass man das menschenwürdig hinbekommen kann, ist absurd." Völlig unklar sei auch, was mit den Abgelehnten passiere. Sie würden vermutlich weiterhin probieren, nach Europa zu kommen, sagt Knaus. "Die EU schlittert in immer radikalere Positionen hinein."

© SZ vom 30.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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