EU:Kleine Nervensäge

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Zwischen der Regierung in Budapest und der Brüsseler Kommission steht es nun schon seit Jahren nicht mehr zum Besten.

Von Daniel Brössler

Zwischen Jean-Claude Juncker und Viktor Orbán ist eigentlich alles gesagt. "Wir glauben nicht, dass er die Kommission führen sollte", urteilte der ungarische Ministerpräsident 2014 über den Mann, der dann doch Kommissionspräsident wurde. Mit der Anrede "Diktator" und einer leichten Ohrfeige begrüßte der EU-Kommissionspräsident den ungarischen Regierungschef dann Ende Mai beim EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft in Riga. Die ironische Anrede verwende er schon seit zwei Jahren, verriet Juncker nach dem Gipfel. Sie sei ein "deutlicher Freundschaftsbeweis".

Nach diesem Maßstab steht es zwischen Brüssel und Budapest zum Besten, aber wirklich nur nach diesem. Die von Orbán geführte Regierung und die EU-Institutionen liegen seit Jahren über Kreuz, nicht erst seit der Wahl Junckers. Orbán, dessen rechte Partei Fidesz Ungarn bis Anfang des Jahres mit Zweidrittelmehrheit regierte, sorgt in der EU immer wieder für Ärger, weil er sich nicht um Standards und Werte der Union zu scheren scheint. 2011 gab es Streit über ein Mediengesetz, 2012 waren es eine Justizreform und der Datenschutz.

Stets besteht die Gefahr, dass Ungarns Premier den Bogen überspannt

Die Konflikte folgen dabei einem immer wiederkehrenden Muster. Orbán bringt Gesetzesvorhaben auf den Weg, die die Macht seiner Partei weiter festigen sollen und die Zweifel an Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufkommen lassen. Wenn dann die zu erwartende Kritik aus Brüssel einsetzt, lässt sich Orbán auf Verhandlungen ein und revidiert schließlich die Vorhaben so weit, dass er Vertragsverletzungsverfahren oder gar hohe Strafen vermeidet. Bei seinen Anhängern schärft er so sein Profil als Streiter gegen Bevormundung durch die EU, in Brüssel festigt er seinen Ruf als Nervensäge.

Mitunter überspannt er dabei den Bogen. Nach einem tödlichen Raubüberfall im April erklärte er: "Die Frage der Todesstrafe sollte in Ungarn auf die Agenda gesetzt werden." Die Empörung war groß, denn Todesstrafe und EU-Mitgliedschaft schließen sich aus. Orbán machte sich auf den Weg in Straßburg, wo er sich im Europäischen Parlament als Kämpfer für die Redefreiheit präsentierte. "Ungarn hat nie ein Abkommen unterzeichnet, worüber es sprechen darf und worüber nicht", sagte er. Wenn man über die Wiedereinführung der Todesstrafe rede, müsse das im Rahmen der EU-Verträge und der ungarischen Verfassung geschehen. "Aber Verfassungen sind keine göttlichen Gebote, sondern von Menschen gemacht", schränkte er ein. Kommissionspräsident Juncker stellte schließlich in der Süddeutschen Zeitung klar: "Wer die Todesstrafe einführt, hat keinen Platz in der EU." Orbán beerdigte das Thema. Ernst gemeint hatte er es offenbar ohnehin nicht.

Sorgen, Ungarn könnte irgendwann zu weit gehen, gibt es in Brüssel trotzdem. Der EU-Vertrag sieht zwar keinen Ausschluss eines Mitglieds vor. In Artikel 7 ist aber geregelt, dass der Rat eine "schwerwiegende und anhaltende Verletzung" der EU-Werte feststellen kann. In diesem Fall könnten einem Mitglied zum Beispiel die Stimmrechte entzogen werden. "Das ist das letzte Mittel", sagte Vize-Kommissionschef Frans Timmermans jüngst ganz allgemein. Ausschließen könne man es nicht, er hoffe aber, "dass wir eine Situation nie so weit eskalieren lassen, dass wir dazu greifen müssen".

© SZ vom 09.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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