EU:Helf ich dir, zahlst du mir

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Immer mehr EU-Staaten verbinden ihre Hilfe in der Flüchtlingskrise mit der Forderung nach Flexibilität beim Schuldenmachen - allen voran die wirtschaftlichen Sorgenkinder Frankreich, Italien und Griechenland.

Von Alexander Mühlauer, Brüssel

Matteo Renzi ist mit seinem Wunsch nicht allein. Italiens Premier forderte für seine Zusage, die Türkei bei der Reduzierung der Flüchtlingszahl finanziell zu unterstützen, mehr Flexibilität beim Schuldenmachen. Auch Frankreich hätte nichts dagegen. Griechenland sowieso. In Athen verknüpft die Regierung ihr Verhalten in der Flüchtlingskrise seit Kurzem mit der Frage, wie weit ihr die europäischen Partner beim Problem der Staatsfinanzen entgegenkommen. Und weil Österreich deutlich mehr Flüchtlinge als andere EU-Staaten aufgenommen hat, will die Regierung in Wien 600 Millionen Euro Entschädigung. In Brüssel mag keiner offen darüber sprechen, aber klar ist: Immer mehr EU-Länder versuchen, ihre Hilfe in der Flüchtlingskrise an finanzielle Forderungen zu koppeln.

An diesem Freitag wird EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker nach Rom reisen, um mit Renzi über flexible Haushaltsgestaltung und die Rolle Italiens in der Flüchtlingskrise zu reden. In Brüssel werden dann zugleich die Länderberichte über die wirtschaftliche Situation in einzelnen EU-Staaten veröffentlicht. Und die verheißen nichts Gutes. Die Europäische Kommission hat EU-Kreisen zufolge in Italien, Frankreich, Bulgarien, Portugal und Kroatien "exzessive ökonomische Ungleichgewichte" festgestellt.

Im Rahmen des sogenannten Europäischen Semesters untersuchte die Brüsseler Behörde die Wirtschaftslage in der EU. Anhand möglichst vieler Kennziffern will die Kommission so ein besseres Gesamtbild erhalten als etwa nur mit den haushaltspolitischen Indikatoren, die für den EU-Stabilitätspakt eine Rolle spielen. Um beurteilen zu können, ob ein Land im ökonomischen Ungleichgewicht ist, prüft die Brüsseler Behörde auch andere Faktoren: Wie hoch sind die Arbeitskosten? Wie verschuldet sind privater und öffentlicher Sektor? Wie steht es um die Beschäftigung? Anhand dieser Bestandsaufnahme leitet die EU-Kommission Empfehlungen für die Politik der einzelnen Staaten ab. Im Extremfall müssen Länder mit Sanktionen rechnen. Bisher ist es nicht dazu gekommen; denn die Semester-Prüfer gehen davon aus, dass die EU-Mitgliedstaaten ihre Wirtschaftspolitik ändern und sich so ökonomisch annähern.

Kroatien jedenfalls wird laut EU-Kreisen einen Warnbrief der Kommission bekommen; damit startet die Prozedur des sogenannten korrektiven Arms. Die größten Sorgen bereiten der Brüsseler Behörde aber noch immer Frankreich und Italien. In beiden Ländern sind die Staatsschulden hoch und das Wirtschaftswachstum gering. Grund dafür sind nach Ansicht der Kommission ausgebliebene Strukturreformen, etwa auf dem Arbeitsmarkt und im Sozialsystem. Aber auch Deutschland befindet sich nicht gerade im Gleichgewicht. Die Kommission rügt den hohen Exportüberschuss; dieser sei nicht nur auf niedrige Zinsen und Ölpreise zurückzuführen. Die Bundesrepublik müsse mehr investieren. Tut sie das angesichts des immens hohen Haushaltsüberschusses nicht, könne dies das Wachstum langfristig hemmen.

Trotz Kritik aus Brüssel ist Deutschland dafür, die Überprüfungen der EU-Kommission noch stärker voranzutreiben. Nach Ansicht der Bundesregierung soll das Europäische Semester zum zentralen Instrument der Wirtschaftspolitik in der EU werden. In einem Positionspapier zur Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion klingt das so: "Das Ungleichgewichteverfahren muss als Instrument zur Verhinderung von destabilisierenden Entwicklungen wie steigende Auslandsverschuldung und Blasenbildung sowie zur Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit konsequent angewendet werden."

Das in der Flüchtlingskrise besonders stark getroffene Griechenland wurde im Zuge des Semesters nicht überprüft. Das war auch nicht nötig, denn Athen befindet sich unter permanenter Beobachtung aus Brüssel. Das dritte Rettungsprogramm läuft und noch immer warten die Kreditgeber auf Reformen. Gut möglich, dass Regierungschef Alexis Tsipras noch mehr Milde von den Gläubigern verlangt - und sich dafür stärker beim Thema Flüchtlinge engagiert.

© SZ vom 25.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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