EU:Eine für alle

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Europäische Polizeibeamte nehmen ihre neue Arbeit an der bulgarisch-türkischen Grenze auf. (Foto: Orestis Panagiotou/dpa)

Als Reaktion auf die Flüchtlingskrise erhält die EU-Grenzschutzagentur mehr Befugnisse.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Die Europäische Union kann die Grenzen ihrer Mitgliedstaaten nun aus eigener Kraft und Befugnis sichern. Am bulgarisch-türkischen Übergang Kapitan Andreewo rief EU-Migrationskommissar Dimitri Avramopoulos die neue Grenz- und Küstenschutzagentur der EU am Donnerstag offiziell ins Leben. Unter anderem kann sie Einsätze an der Außengrenze des Schengenraums notfalls gegen den Willen des betreffenden Mitgliedslands starten. Avramopoulos sprach von einem Meilenstein in der Geschichte der europäischen Grenzsicherung. "Die Grenze eines Staates ist nun die Grenze aller Staaten", sagte er. Europas Bürger hätten eine greifbare Antwort auf die Flüchtlingskrise gefordert, "und wir liefern sie heute gemeinsam".

Die neue Einrichtung basiert auf der bestehenden Grenzschutzagentur Frontex, die wesentlich mehr Befugnisse, Personal und Geld erhält. Die Kerntruppe besteht aus 1500 Grenzschützern (unter ihnen 225 Deutsche und 170 Franzosen), die von Dezember an innerhalb von fünf Tagen an Brennpunkte an der Außengrenze geschickt werden können. Zusammen mit den Mitgliedstaaten baut die Behörde zudem einen Pool auf, in dem Material zum Abruf bereit steht. Das Personal der in Warschau sitzenden Agentur, die weiterhin unter dem Namen Frontex firmiert, wird bis 2020 auf 1000 verdoppelt, das Budget steigt von 238 auf 322 Millionen Euro.

Hauptaufgabe bleibt es, die EU-Grenzen zu sichern, also "illegale" Flüchtlinge vom Übertritt abzuhalten. Gleichzeitig soll die neue Frontex einen einheitlichen Standard an allen Grenzen garantieren, nationale Mitarbeiter ausbilden und laufend Risikoanalysen erstellen. Einsätze sind neuerdings auch in Nachbarländern der EU möglich, allerdings nur mit einer entsprechenden Vereinbarung. Bei Abschiebungen kann die Agentur nun selbst die Initiative ergreifen und Flüge organisieren, etwa nach Afghanistan. Bisher musste ein Staat darum bitten. Frontex wird weiterhin Menschen aus Seenot retten, aber nur im Rahmen von Grenzschutzeinsätzen.

Seit dem Vorschlag der Kommission im Dezember 2015 sind keine zehn Monate vergangen, eine sehr kurze Zeit für ein solches Vorhaben. Politisch umstritten war allein die Tatsache, dass kräftig in die nationale Souveränität eingegriffen werden kann. Sieht Frontex das Funktionieren des Schengenraums in Gefahr, kann die EU-Kommission einen Einsatz empfehlen, auch wenn sich ein Mitgliedstaat dagegen sperrt, wie Griechenland im vergangenen Jahr. Das letzte Wort hat der Rat der Mitgliedstaaten, der mit qualifizierter Mehrheit entscheidet. Nach Ansicht von EU-Diplomaten ist es unwahrscheinlich, dass EU-Grenzschützer anrücken, ohne von lokalen Kräften unterstützt zu werden. Möglich ist aber, dass andere EU-Staaten Personen aus dem betreffenden Land an Flughäfen kontrollieren und das Land damit de facto aus dem Schengenraum ausschließen.

Die neue Agentur verfolge ein "unlauteres Ziel", kritisierte die EU-Abgeordnete Ska Keller (Grüne). "Frontex soll Europa vor Flüchtlingen schützen, statt das Prinzip des Flüchtlingsschutzes zu verteidigen." Immerhin habe das Parlament eine Beschwerdemöglichkeit bewirkt und verhindert, dass Frontex an Abschiebungen zwischen Drittstaaten mitwirken kann.

Dass die Lancierung der neuen Agentur nach Bulgarien verlegt wurde, liegt an der angespannten Lage an der Grenze zur Türkei. Zwar ist die Zahl der nach Europa strebenden Flüchtlinge infolge der Grenzschließung in Mazedonien und des EU-Türkei-Abkommens stark gesunken. Doch versuchten an manchen Tagen im Sommer Hunderte, über Bulgarien weiterzukommen. Die Regierung in Bukarest will bis Ende des Jahres entlang der 259 Kilometer langen Grenze einen Zaun fertigstellen und hat die EU um Hilfe gebeten. Am Montag sollen 25 Frontex-Beamte mit dem Einsatz beginnen.

© SZ vom 07.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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