EU:Brüsseler Gelassenheit

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Tsipras hat in der EU viel von seinem Schrecken verloren - denn diese weiß, dass der Grieche seine Reformpflichten erfüllen muss. Euphorisch über Tsipras Wahlsieg sind vor allem Europas Linke. Sie wettern gegen Erpressung.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Das Interessanteste an Glückwünschen sind für gewöhnlich die Zwischentöne. "Ihr Engagement und Ihre Führung bei der Umsetzung des wirtschaftlichen Anpassungsprogramms ist entscheidend für das Gelingen der Gesundung der griechischen Wirtschaft", heißt es im Gratulationsschreiben von EU-Ratspräsident Donald Tusk an den griechischen Wahlsieger Alexis Tsipras. Was als deutliche Mahnung verstanden werden darf, es nicht zu vergeigen.

"Es gibt viel zu tun und keine Zeit zu verlieren", formulierte es ein Sprecher der EU-Kommission. Er erinnerte daran, dass Tsipras und seine Regierung es gewesen seien, die sich zum jüngsten Reformprogramm verpflichtet hätten. "Die neue Regierung wird nun das Mandat haben, die Reformen durchzuführen", verkündete er die Erwartung von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Und dann, schon deutlich vorsichtiger: "Zu diesem Zeitpunkt können wir davon ausgehen, dass die Dinge sich entwickeln wie geplant."

Geplant war eigentlich, dass sich die Euro-Finanzminister bei einem Treffen am 5. Oktober über eine erste Überprüfung des mit Griechenland vereinbarten Programms beugen können. Davon hängt die Auszahlung weiterer Milliardenbeträge ab. "Wir erwarten, dass die Überprüfung in diesem Herbst passiert", sagte der Kommissionssprecher nun vage. Auf die Rückfrage, ob das Ende Oktober oder gar später bedeute, gab sich der Mann schmallippig: "Lasst uns jetzt nicht Herbst definieren".

Wiewohl Brüssel bei der Umsetzung des von Griechenland mit den europäischen Partnern und dem Internationalen Währungsfonds im Sommer vereinbarten dritten, 86 Milliarden Euro schweren, Rettungspakets mit Unwägbarkeiten gerechnet wird, hat Tsipras viel von seinem Schrecken verloren. Der Chef der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Gianni Pittella, würdigte den Wahlausgang als "Sieg für die Demokratie" und "Belohnung für Tsipras' politischen Einsatz".

Skeptischer äußerte sich Herbert Reul, der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament. "Jeder hat bekanntlich eine zweite Chance verdient, doch nun muss Alexis Tsipras auch beweisen, dass das erneute Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in seine Syriza-Partei auch gerechtfertigt ist. Immerhin beläuft sich seine bisherige Regierungsbilanz lediglich darauf, einem Landesbankrott nur knapp entgangen zu sein", sagte er. Die geplante Neuauflage mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel) stehe überdies "auf wackeligen Beinen" und sei voller Widersprüche.

Uneingeschränkter Jubel kommt nur von ganz links - ungeachtet der Kehrtwende des Syriza-Chefs, der sich trotz eines ablehnenden Referendums auf die Bedingungen der internationalen Gläubiger eingelassen hatte, um Griechenlands Verbleib in der Euro-Gruppe zu ermöglichen. "Tsipras hat sich mit Nachdruck für die Interessen der griechischen Bevölkerungsmehrheit gegenüber ihren Gläubigern eingesetzt, die Rückzahlbedingungen für die untragbare Schuldenlast verbessert und die Ärmsten und Schwächsten in den Mittelpunkt seiner Politik gestellt", lobte Gabi Zimmer, die Vorsitzende der Linksfraktion, im Europaparlament. "Die konservativen Kräfte in Griechenland und der EU" müssten jetzt einsehen, dass sich eine demokratisch gewählte linke Regierung "nicht einfach mit Erpressung und übler Nachrede beseitigen lässt".

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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