EU:Antrittsbesuch zum Abschied

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Will im Dienste der EU, nicht des Brexit wirken: Julian King bei einer Anhörung im Europa-Parlament. (Foto: Patrick Seeger/dpa)

Julian King ist zuständig für Sicherheit. Er könnte der letzte britische EU-Kommissar sein.

Von Daniel Brössler, Den Haag

Der erste Eindruck zählt, das ist den Leuten bei Europol natürlich klar. Julian King, neuer EU-Kommissar und zuständig für Sicherheit, ist auf Antrittsbesuch beim 1999 gegründeten Europäischen Polizeiamt und blickt auf einen großen Bildschirm im zehnten Stock des Gebäudes. Dort befindet sich - mit schöner Aussicht auf die Nordsee - das Operationszentrum. Man stelle gerade auf "24/7" um, erläutert ein ungarischer Beamter, also auf Präsenz rund um die Uhr. Kings Minenspiel verrät nichts, auch keine Überraschung darüber, dass das erst jetzt passiert. Von Beruf ist King Diplomat. Bis vor kurzem war er britischer Botschafter in Frankreich, und zuvor war er mehrere Jahre in Brüssel stationiert. Nun dürfte er in die Geschichte eingehen als vermutlich letzter EU-Kommissar aus Großbritannien.

In Brüssel ist King mit erstaunlich offenen Armen empfangen worden. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker widerstand der Versuchung, dem Nachfolger des nach dem Brexit-Votum zurückgetretenen Jonathan Hill ein eigenes Portfolio zu verwehren. Stattdessen soll King sich um die Umsetzung der "Europäischen Sicherheitsagenda" kümmern und damit um ein zentrales Projekt der Kommission. Damit liegt der europäische Kampf gegen Terrorismus und Verbrechen gleich in vier britischen Händen, denn auch Europol-Chef Rob Wainwright ist Brite. Die Frage, ob das nicht seltsam sei, lässt King diplomatisch abtropfen. "Das scheint mir ganz natürlich. Hier ein Direktor, der vom Verwaltungsrat wiederbestätigt worden ist und hier ein Kommissar, der das Vergnügen hatte, sich um die Zustimmung von mehr als 600 Mitgliedern des Europäischen Parlaments zu bemühen", sagt er.

King ist kein Politiker, sondern ein EU-Profi. Großbritanniens Premierministerin Theresa May hat ihn nach Brüssel entsandt. Bei der Anhörung im Parlament brillierte er mit perfektem Französisch, und er konnte glaubhaft machen, nicht im Dienste des Brexit, sondern der EU wirken zu wollen. Indem er den Briten mit dem Sicherheitsthema betraute, hat Jean-Claude Juncker freilich auch eine Botschaft nach London gesandt: Seht noch einmal her, wie nützlich die EU sein kann.

"Es muss eine europäische Antwort geben auf Terrorismus und Cyberkriminalität", sagt King selbst, der das aufgewühlte Frankreich nach den Anschlägen von Paris und Nizza erlebt hat. Daher auch die Dienstreise nach Den Haag, die erste als Kommissar. "Europol steht an der Frontlinie im Kampf gegen Terrorismus, Menschenschmuggel, Cyberkriminalität und andere Schwerverbrechen", sagt er. Und darum geht es natürlich auch bei der Präsentation im zehnten Stock.

Aufmerksam folgt der Kommissar dem Vortrag des Ungarn, der Linien auf dem Bildschirm erläutert. Sie alle zeigen nach oben. 39 868 Fälle hat die Behörde 2015 bearbeitet, 2008 waren es noch 5000 gewesen. 948 Mitarbeiter zählte Europol vergangenes Jahr.

Nach den Anschlägen in Paris spielte Europol mit der Operation "Fraternité" (Brüderlichkeit) eine wesentliche Rolle bei den grenzüberschreitenden Ermittlungen. "Wir haben einen Gezeitenwechsel gesehen nach den Terrorangriffen vergangenen November", sagt Wainwright, der die Behörde seit 2009 führt. Die Zahl der Informationen, die von den nationalen Polizeibehörden an Europol weitergegeben würden, sei erheblich gestiegen.

Wainwrights Sorge gilt Tausenden ausländischen Kämpfern, die aus dem Nahen Osten zurückerwartet werden. "Wir alle stehen einer sehr ernsthaften terroristischen Bedrohung gegenüber", sagt der spröde Waliser. Seine Behörde verfügt mittlerweile über ein Anti-Terror-Zentrum, eine Abteilung für den Kampf gegen Cyber-Kriminalität und ist mit mobilen Teams auch eingeschaltet in den Einsatz der EU gegen Schlepperbanden. In griechischen Aufnahmelagern sind ebenfalls Europol-Beamte unterwegs.

Die Bedeutung von Europol sieht Wainwright - so wie King - in Zukunft eher noch wachsen. Vor dem Referendum hatte der Kriminalist seine Landleute vor den Folgen eines Brexit gewarnt. Nun spricht er lieber über das "sehr klare politische Signal", das die EU mit der Berufung eines Kommissars für die "Sicherheitsunion" sende. King und Wainwright weisen das von sich, aber sie befinden sich in einer kuriosen Situation. Während sie im Kampf gegen das Verbrechen für mehr Europa werben, könnte ihr Heimatland bald Europol verlassen.

Im Zuge des Brexit könnte Großbritannien auch Europol bald verlassen

Die britischen Ausnahmeklauseln machen es erforderlich, dass das Land eine neue EU-Verordnung für Europol billigt, die im Mai in Kraft tritt. Die Zustimmung ist heikel, könnte sie doch als Widerspruch zum Diktum von Premierministerin May verstanden werden, dass ein Brexit wirklich Brexit bedeute. "Ich will Europol unterstützen und will alle Mitgliedstaaten ermutigen, sich so vollständig für Europol zu engagieren wie sie können. Das schließt das Vereinigte Königreich ein", hält King unverdrossen dagegen. "Ich werde versuchen, die britische Regierung vom Nutzen der bisher sehr effektiven Zusammenarbeit mit Europol zu überzeugen und sie auch auf die Nachteile hinweisen, wenn diese Entscheidung nicht getroffen wird."

Was King und Wainwright vor allem fürchten, ist eine Lücke zwischen dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU-Polizeiarbeit in der bisherigen Form und dem Abschluss einer neuen Kooperationsvereinbarung wie es sie mit einer Reihe von Drittsaaten gibt, etwa den USA. "Diese Lücke hätte Konsequenzen", warnt King, "für das Vereinigte Königreich, aber auch für seine Partner".

© SZ vom 01.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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