Erziehung in Frankreich:Prügel passé

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Eine fessée, so nennt man in Frankreich einige Schläge auf den Hintern, und nicht wenige Eltern und Psychologen dort meinen, so etwas habe noch niemandem geschadet. In vielen Staaten ist die Prügelstrafe längst verboten, aber im Land der guten Manieren tut man sich schwer mit einer rein gewaltlosen Erziehung.

Stefan Ulrich, Paris

Ein Mädchen sitzt am Wohnzimmertisch über seinen Hausaufgaben. Versehentlich schüttet es sein Glas um. Die Mutter versetzt dem Kind eine schallende Ohrfeige. Das Mädchen weint. Die Großmutter kommt hinzu und nimmt die Mutter in den Arm. "Pardon", flüstert sie ihr zu. Damit endet der Kurzfilm. Eine Schrift erscheint: "Eltern, die schlagen, wurden oft selbst als Kinder geschlagen. Keine Ohrfeigen, keine Prügel!"

Das Video-Drama wird seit Donnerstag von allen nationalen französischen Fernsehsendern und im Internet gezeigt. Die Kinderschutzvereinigung "Fondation pour l'Enfance" will so einen Bewusstseinswandel in Frankreich erreichen. Ziel sei es, die Eltern zum Nachdenken zu bringen, sagt Gilbert Lazimi, der Koordinator der Initiative. "Dieser Spot lässt niemanden gleichgültig. Da sind drei Generationen versammelt. Jeder kann sich mit einer identifizieren."

Die Vereinigung will erreichen, dass auch in Frankreich, dem Land der Menschenrechte, Ohrfeigen und andere Gewaltakte von Eltern gegen Kinder ausdrücklich verboten werden. Der Europarat ruft seine Mitgliedstaaten seit Jahren dazu auf. Etwa 20 Länder sind ihm schon gefolgt. Deutschland schrieb bereits im Jahr 2000 ins Bürgerliche Gesetzbuch: "Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen sind unzulässig."

Erniedrigend und erzieherisch unwirksam

In Frankreich dagegen gibt es viel Widerstand gegen ein Verbot. Auch manche Psychologen und Ärzte argumentieren, der Staat dürfe sich nicht in alles einmischen, den Eltern sollten keine Schuldgefühle gemacht werden und eine gelegentliche fessée, also einige Schläge auf den Hintern, habe noch niemandem geschadet. Die Fondation pour l'Enfance hält dagegen: Wenn Eltern ihren Kindern Gewalt zufügten, sei das erniedrigend und erzieherisch unwirksam. Lazimi sagt: "Das Gesetz verbietet es, einen Erwachsenen oder ein Tier zu schlagen. Es muss auch verbieten, ein Kind zu schlagen."

Die konservative Abgeordnete und Kinderärztin Edwige Antier hat schon 2009 einen Gesetzesvorschlag eingebracht, um Gewalt in der Erziehung im Zivilgesetzbuch zu verbieten. "Je mehr man die Hand gegen sein Kind erhebt, desto verschlagener wird es", sagte sie. Bislang wurde ihr Antrag noch nicht einmal debattiert. Die frühere First Lady Bernadette Chirac nannte ihn "lächerlich". Wenn ein Kind unausstehlich sei, sei eine mäßige fessée in Ordnung.

In Frankreich, wo gute Umgangsformen hochgehalten werden, fragen sich etliche Eltern, wie sie aufsässige Kinder sonst disziplinieren sollen. Erziehungsberater geben ihnen in den Zeitungen ganze Listen zur Hand. Sie reichen vom In-die-Ecke-stellen - aber erst ab dem Alter von zwei Jahren - bis hin zu auszuhandelnden "Reparationen". Wenn Ugo seine Großmutter beschimpfe, solle er verpflichtet werden, ihr von seinem Taschengeld eine Rose zu kaufen, ist da zu lesen.

Viele Psychologen betonen, den Eltern müsse geholfen werden, sich ohne Gewalt Autorität zu verschaffen. Eine solche Erziehung der Erzieher sei wichtiger als ein Verbot. Die Befürworter eines Gesetzes verweisen dagegen auf Schweden. Dort wurde 1979 Eltern das Prügeln verboten. Die meisten Schweden waren damals gegen das Gesetz. Heute ist die große Mehrheit dafür. Die Gewalt im Elternhaus soll deutlich zurückgegangen sein. Ein Verbot könnte demnach immer mehr Erwachsene zur gleichen Einsicht wie der Großmutter in dem TV-Spot verhelfen: Eine ordentliche Watschen hat noch jedem geschadet.

© SZ vom 29.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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