Deutscher Herbst - Tag 30:Der Mythos von der "Isolationsfolter" in Stammheim

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Das Bundesverfassungsgericht lehnt die Beschwerde mehrerer Anwälte und RAF-Häftlinge gegen die Kontaktsperre ab, die seit dem 6. September praktiziert wird und von RAF-Mitgliedern als "Vernichtungsfolter" bezeichnet wird.

Robert Probst

Dienstag: Das Bundesverfassungsgericht lehnt die Beschwerde mehrerer Anwälte und RAF-Häftlinge gegen die Kontaktsperre ab, die seit dem 6. September praktiziert wird.

Andreas Baader, aufgenommen in der JVA Stammheim. (Foto: Foto: AP)

Die Richter führen unter anderem aus: "Der Senat verkennt dabei nicht, daß die beanstandete Unterbindung von Kontakten zwischen Verteidigern und ihren inhaftierten Mandanten auch solche Anwälte treffen kann, die bisher keinen Anlaß zu der Annahme gegeben haben, sie könnten bewußt oder unbewußt zur Unterstützung terroristischer Gewalttäter oder zur Förderung von Terrorakten beitragen. Diese generalisierende Wirkung des einstweiligen Besuchsverbots ist indessen, will man nicht seine Effizienz überhaupt in Frage stellen, nicht zu umgehen."

Seit Jahren war die Behauptung von der "Isolations- und Vernichtungsfolter" das propagandistische Hauptinstrument der RAF, der ihr immer wieder neue Sympathisanten für den Kampf gegen einen "faschistischen Staat" bescherte. Im Nachhinein wurde dies als Mythos entlarvt, wenngleich diverse Gefangenen in der Tat unter "verschärfter" und "strenger" Einzelhaft gelitten haben und andere nicht vor der Selbsttötung durch Hungerstreik - als Protest gegen die angeblich Isolation - zurückschreckten.

Im siebten Stock in Stuttgart-Stammheim ging es dagegen oft eher fidel zu. Dort genossen die prominenten RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe zahlreiche Privilegien - Fernseher, Plattenspieler, enorme Büchersammlungen und tägliche, mehrstündige Zusammenkünfte (Umschluss).

Am Abend der Schleyer-Entführung endeten die Privilegien, Fernsehapparate und Radios werden entfernt; Post, Zeitungen und gemeinsame Treffen sind fortan verboten. Dennoch können die drei zu lebenslanger Haft Verurteilten und Irmgard Möller weiter miteinander kommunizieren, vor allem mit lautem Rufen durch die Luftschlitze der Zellentüren oder über die Fenster. Als dies bemerkt wird, werden in der Nacht Schaumstoffmatten vor die Luftschlitze gestellt.

Offenbar gab es auch die Möglichkeit, durch die Manipulation von zwei stromführenden Leitungen im Zellentrakt und den Umbau von Plattenspielern zu Sende- und Empfangsgeräten eine geheime Sprechanlage zu betreiben. Zu diesem Ergebnis kam jedenfalls später ein Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtags. Für die Einrichtung einer solchen Wechselsprechanlage hätten sogar "Schulbuchkenntnisse" ausgereicht.

Einige Sachbuchautoren jedoch zweifeln die Geschichte mit der Sprechanlage an. Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust (Der Baader Meinhof Komplex) weist zudem stets auf starke Indizien hin, die RAF-Häftlinge in Stammheim seien abgehört worden, durch Wanzen oder eben die Sprechanlage, die Raspe gebastelt haben soll. Einen Beweis dafür gibt es nicht.

Was in der Welt so passiert, erfährt Raspe durch ein kleines, eingeschmuggeltes Transistorradio, das bei diversen Zellendurchsuchungen nicht entdeckt wird.

© SZ vom 4.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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