Deutsche Sprache:Ade, Fräulein - tschüss, Schlingel!

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Ein neues Buch stellt Wörter vor, die am Verschwinden sind.

Von Hermann Unterstöger

In Robert Schumanns "Davidsbündlertänzen" trägt der dritte Satz die Vortragsbezeichnung "Mit Humor". In der Erstausgabe hatte es noch "Etwas hahnbüchen" geheißen, und man wüsste nur zu gern, was sich ein heutiger Klavierschüler darunter vorstellt. Wäre er Bayer und in der Mundart sattelfest, könnte er den Dialektausdruck hoglbuachan zum Vergleich heranziehen und zu dem Ergebnis kommen, dass hahnbüchen so etwas wie grob, derb oder unglaublich bedeutet. Wahrscheinlich würde er aber an den Turner Fabian Hambüchen denken und seinen Vortrag entsprechend elegant gestalten.

Unter Pessimisten gilt als ausgemacht, dass es mit dem Deutschen in den Graben geht. Wäre dem so, müsste als Schwanengesang gewertet werden, was in den vergangenen Jahren auf den Buchmarkt und in entsprechende Internetforen drängte: Halb heitere, halb wehmütige Betrachtungen über seltsamste, liebste und schönste Wörter, ja sogar über "Wohlfühlwörter" wie Augenschmaus und spitzbübisch. Bei einem Publikum, das derlei schätzt und kauft, ist Hopfen und Malz wohl nicht völlig verloren. Dieses Interesse für Sprachliches dürfte nun auch dem am Mittwoch erschienenen Buch "Luftikus und Tausendsassa" zugutekommen, in dem Katharina Mahrenholtz Wörter vorzeigt, die einst jedermann geläufig waren, nun aber aus dem Sprachgebrauch verschwinden.

Wer aus dieser und ähnlichen Publikationen erfährt, dass Schabernack und Kokolores, Fräulein und Schlingel die längste Zeit seine Begleiter waren, erliegt möglicherweise der Versuchung, den berüchtigten Sprachwandel dafür in Haftung zu nehmen. Das wäre voreilig. Wie Peter von Polenz in seiner "Deutschen Sprachgeschichte" ausführt, ist der Wortschatz, anders als die Grammatik, ein offenes System. Innovationen seien hier ebenso wenig wie das Veralten und der Untergang lexikalischer Formen oder Bedeutungen Phänomene des Sprachwandels. Sie gehörten "zur normalen Existenz einer Sprache, da Bezeichnungen und Bedeutungen in immer neuen Sprachhandlungen jeweils neu konstituiert werden".

Das lässt nicht nur die Luft aus allfälligen kulturpessimistischen Tiraden, sondern weist uns allen eine geradezu sprachkonstituierende Würde zu, wenn wir zum Beispiel den Stöckelschuh für High Heels drangeben - ein Akt, der uns normalerweise den Vorwurf einträgt, wir wüssten vor lauter "Denglisch" nicht mehr aus und ein. Auch David Crystal behandelt in der "Cambridge Enzyklopädie der Sprache" den semantischen Wandel mit Gelassenheit und bringt als Beleg das alte Wort Valant für Teufel, das noch Goethe verwendete: "Platz! Junker Voland kommt." Bei heutigen Lesern stellt sich, wenn sie alt genug sind, dazu allenfalls die Assoziation Volant gleich Lenkrad ein, auch dies ein weit abgesunkenes Wort.

Was wird aus dem abgesunkenen Wortgut? Vergliche man die Sprache mit dem Meer, wären diese Wörter die Sinkstoffe, aus denen sich die Sedimentschichten bilden, in unserem Fall Wörterbücher vom Schlag eines Grimm. Dort leben seit Langem die Lehde (unbebautes Land) und die Schnur (Schwiegertochter). Bald werden sich Mumpitz und Walkman dazugesellen, und wer hinabtaucht, hat daran Freude wie an einem bizarren Korallenriff.Hermann Unterstöger

© SZ vom 05.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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