Das Dorf Lazarevo:Mladics letzte Zuflucht

Lesezeit: 3 min

In einem unscheinbaren bäuerlichen Anwesen in Lazarevo wurde der meistgesuchte Kriegsverbrecher Europas festgenommen. Ein Besuch in dem Dorf, in dem Ratko Mladic Unterschlupf gefunden hat.

Robert Probst

Als der Geheimdienst und die Spezialpolizei am Donnerstagmorgen auftauchen, hat damit wohl keiner der Dorfbewohner gerechnet. Auch Ratko Mladic, der meistgesuchte Kriegsverbrecher Europas, war ahnungslos. Als Milorad Komadic suchte er Schutz in einem unscheinbaren bäuerlichen Anwesen in dem Dorf Lazarevo in der nordserbischen Vojvodina.

Lazarevo
:Maldics Unterschlupf

Zwei Kneipen, verrottende Häuser und Einwohner, die umgerechnet weniger als 50 Euro im Monat verdienen: Ein Streifzug durch Lazarevo, den Ort, in dem sich der Kriegsverbrecher Ratko Mladic versteckte.

Hier scheint es, als sei die Zeit stehengeblieben. In der Ortschronik aus dem Jahr 1900 heißt es: "Handel, Verkehr, Industrie und Dienstleistungen sind hier praktisch ohne Belang." Das gilt auch heute noch. Es gibt aber zwei Unterschiede: Einst hießen die Einwohner des kleinen Dorfes Schneider, Koch, Dekorsy, Beil, Schmidt oder Wolf. Und das Dorf hieß auch nicht wie heute Lazarevo, sondern Lazarfeld. Für mehr als 130 Jahre war der Ort in der Pannonischen Tiefebene wie so viele andere fast ausschließlich von "Volksdeutschen" bewohnt.

Weitgehend friedlich und ohne großen Kontakt hatten die sogenannten Banater Schwaben neben den serbischen und ungarischen Nachbarn ihr hartes Leben als Bauern und Handwerker gefristet - bis der NS-Staat 1941 mit größter Brutalität den Balkan eroberte und seine Schreckensherrschaft errichtete. Mit der Niederlage der Nazis war dann auch das Schicksal der Banater Schwaben besiegelt - die Rache der Serben war fürchterlich.

Noch heute kann man die "deutsche Struktur" des Dorfes gut erkennen: breite, schnurgerade Straßen, schachbrettartig angelegt, breite Anger links und rechts der Straßen, kleine, einstöckige Häuser mit riesigen Gärten.

Ein Großteil der Gebäude stammt noch von den einst etwa 2000 deutschstämmigen Dorfbewohnern, einige wurden noch in der Zeit um das Jahr 1800 erbaut - als die Habsburgermonarchie das nach den Türkenkriegen fast entvölkerte Pannonische Becken mit ursprünglich aus Süddeutschland und Elsass-Lothringen stammenden Donauschwaben besiedelte.

Zum Siedlungsraum zählte das frühere nordöstliche Jugoslawien, Südungarn und das nordwestliche Rumänien. Die Region zwischen den Flüssen Mures, Theiß und Donau wurde Banat genannt. Im Jahr 1944 zählte die deutsche Minderheit im Banat und anderen deutschen Siedlungsgebieten auf dem Balkan mehr als eine halbe Million Menschen.

Die Banater Schwaben sollten das Land urbar machen und das taten sie - nicht mehr und nicht weniger: Sie bauten Mais und Sonnenblumenfelder an, züchteten Nutztiere, sprachen ihren deutschen Dialekt und blieben weitgehend unter sich.

Doch als die Wehrmacht Jugoslawien überfiel, war es vorbei mit der friedlichen Koexistenz. Von nun an regierten Hass und Gewalt auf beiden Seiten. Wehrmacht und SS-Truppen verübten Massaker an der serbischen Zivilbevölkerung, die jüdische Bevölkerung wurde in die Vernichtungslager deportiert, bei der "Bekämpfung kommunistischer Aufständischer" wurden Tausende ermordet.

Alsbald verbreiteten "Partisanen" unter der deutschen Minderheit Angst und Schrecken. Am 1. Oktober 1944 war der Krieg in Lazarfeld zu Ende - und die siegreichen Kommunisten erklärten alle Deutschen zu "Faschisten, Verrätern und Kriegsverbrechern".

Das Vermögen, Haus und Hof wurden enteignet und an meist treue kommunistische Kämpfer verteilt. Zahllose Männer wurden liquidiert, Frauen in sibirische Arbeitslager verschleppt. Alte, Kranke und Kinder wurden in streng bewachten Dörfern zusammengetrieben - bei miserabler Ernährung und einer enorm hohen Sterblichkeitsrate.

Andere Kinder werden verschleppt und in Erziehungsanstalten "slawisiert". "Deutschen gebührt kein Platz mehr in unserem Land", heißt es kategorisch aus Belgrad.

Ein beinahe vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte

Doch an dem gewünschten "Bevölkerungstransfer" der einstigen Nachbarn nach Deutschland hatten die Alliierten kein Interesse. Und so mussten die Besiegten bleiben - unterernährt, krank, verzweifelt. Zwischen 1944 und 1948 starben etwa 65.000 Jugoslawien-Deutsche.

Im Lauf der Zeit förderte das Tito-Regime dann indirekt die Flucht der deutschstämmigen Bevölkerung, 1948 werden die letzten Lager geschlossen - ein heute beinahe vergessenes Kapitel der Nachkriegsgeschichte.

Auf dem alten Teil des Friedhofs von Lazarevo stehen immer noch die windschiefen Grabsteine der deutschen Siedler von einst. Die Toten aus der Internierungszeit sind in einem Massengrab bei Knicanin (Rudolfsgnad) bestattet. Seit einigen Jahren erinnern Gedenktafeln an diese Opfer - die Tafel der Lazarfelder nennt die Zahl 308.

Vor einigen Jahren haben gebürtige Lazarfelder eine Busreise in ihre alte Heimat gemacht, von den Serben wurden sie herzlich empfangen und bewirtet. Viele haben sich mit den neuen Bewohnern ihrer alten Häuser angefreundet. Mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Krieges war Versöhnung möglich.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: