Chinesische Gewalt in Tibet:Am Boykott-Hebelchen

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Symbolismus wird Chinas Politik nicht verändern, wohl aber gezielte Stiche gegen die Führung.

Stefan Kornelius

In der Beziehung zu einem Staat gibt es, anders als in der Beziehung zwischen Menschen, nur wenige Gefühle, dafür umso mehr Interessen. In der Beziehung zu China ist das Interesse der westlichen Welt inzwischen komplex und dennoch simpel: China ist ein großer Markt, eine bedeutende politische Macht und ein Riesenreich mit gewaltigen Unfreiheiten und inneren Problemen.

Weltweit gab es Proteste gegen die chinesische Regierung - hier in der Schweiz. (Foto: Foto: AP)

Das Interesse ist, die Wirtschaftskraft zu nutzen, die Macht zu zähmen und die inneren Verhältnisse zu beeinflussen, auf dass sie immer kompatibler werden mit den eigenen Werten und Interessen. Wer nun also einen Boykott der Olympischen Spiele fordert, der muss prüfen, ob er damit diese Interessen befördert, oder ob er lediglich zulässt, dass sich Emotionen entladen und am Ende alles verpufft.

Boykotte wirken unterschiedlich, je nachdem, gegen wen sie angewandt werden. Wer das afrikanische Zimbabwe boykottiert und dessen Diktator Robert Mugabe, der wird erfolgreicher sein als wenn er das geopolitisch bedeutendere Land Iran isoliert. Und wer China boykottiert, der muss einen Wust von widerläufigen Interessen ausbalancieren und in Kauf nehmen, dass seine Wut wirkungslos abprallt. Das ist die frustrierende, aber realistische Analyse für den Umgang mit der UN-Vetomacht China. Größe macht stark und unangreifbar.

Größe beschert aber auch Verantwortung, und Chinas Führung ist erpicht darauf, als verantwortungsbewusste Großmacht das Konzert der Völker mitzudirigieren. Dieses chinesische Interesse ist ebenso simpel zu erklären: Das Land braucht seine Exportmärkte, und es braucht noch viel mehr die Hilfe der technologisierten Welt, um seine inneren Probleme zu bewältigen. China ist noch lange nicht in einer Situation, wo es die diplomatische Zweibahnstraße verlassen kann. Im Gegenteil: Das Geschäft von Geben und Nehmen beginnt erst.

Generalboykott der Spiele bringt nichts

Was all das für Olympia und die Krise um Tibet bedeutet? Ein Generalboykott der Spiele bringt nichts, genauso wenig wie der Boykott in Moskau oder Los Angeles bleibende Wirkung hinterlassen hat. Aber die Spiele haben nun endlich ihr politisches Thema, und je wütender ein Regionalfunktionär in Tibet über den Kampf auf Leben und Tod faselt, desto eher tritt seine Prophezeiung ein: Chinas Führung hat ein dauerhaftes Problem, und es liegt nur an den Regierungen des Westens, dieses Problem nicht verschwinden zu lassen.

Dazu muss kein Sportler den Spielen fernbleiben. Es reicht, wenn der Dalai Lama eine neue Reise durch die Kanzlerämter dieser Welt antreten kann. Es reicht, wenn die Führung in Peking bei jedem Besuch öffentlich nach den Defiziten gefragt wird.

Es wäre gebenenfalls auch angemessen, den die Spiele begleitenden Polit-Zinnober - Eröffnungsfeiern, Ehrenloge, Präsidenten auf roten Teppichen - abzusagen. China werden diese Nadelstiche nicht behagen. Aber politische Akupunktur ist wirksamer als die Therapie mit der Keule.

© SZ vom 20./21.3.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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