China:Zum Plausch beim Nachbarn

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Zuletzt hatte Nordkoreas Machthaber den Eindruck entstehen lassen, es gehe auch ohne die Verbündeten in China. Das kann der Führung dort nicht gefallen haben - und Kim Jong-un am Ende wohl auch nicht.

Von Kai Strittmatter

So viel ist sicher: Es kam ein Zug. Es stieg jemand aus. Einen Tag später fuhr der Zug wieder ab. Alles andere? Spekulation.

Und dennoch: ein gepanzerter grüner Zug mit 21 Waggons, der in den Bahnhof im Herzen Pekings einfährt. Soldaten, die den Bahnhof absperren und den offensichtlich wichtigen Gast abgeschirmt zu bereitstehenden Limousinen geleiten. Ein Konvoi solcher Limousinen, der mehrmals in Peking gesichtet wird. Scharfe Sicherheitsmaßnahmen am Staatsgästehaus Diaoyutai. Eigentlich nicht zu übersehen. Oder doch?

Chinas Außenministerium gab sich am Dienstag alle Mühe. "Von einer solchen Situation ist uns nichts bekannt", wurden die ersten Reporteranfragen nach dem geheimnisvollen Zug beschieden. Später gab sich die Sprecherin Hua Chunying bei der täglichen Pressekonferenz in Peking ähnlich wortkarg: "Im Moment habe ich darüber wirklich keine Informationen", sagte sie. In Chinas Zeitungen war kein Wort zu lesen, im Fernsehen nichts zu sehen, das Internet war blitzeblank geputzt. Im Mikroblog-Dienst Weibo - Chinas Gegenstück zu Twitter - war die Suche nach "Nordkorea" gesperrt, und die paar Kommentare, die es im Messagingdienst WeChat durch die Zensur schafften, beschränkten sich aufs Witzeln über den "Dicken Nummer 3". So haben Chinas Internetnutzer Kim Jong-un getauft, den dritten Herrscher der Kim-Dynastie im benachbarten Nordkorea. "Sitzt er in der Limousine und wundert sich über unsere geschäftigen Straßen?", fragte einer. "Wahrscheinlich ist er hier, um sich bei uns die Internetzensur und Kontrolle der ausländischen Medien abzuschauen", meinte ein anderer.

Als der junge Mann 2011 antrat, galt er als schwach, als Puppe. Das hat sich gründlich geändert

War er es nun? War es wirklich Kim Jong-un? Hat der Diktator am Montag zum ersten Mal seit seiner Machtübernahme 2011 sein Land verlassen und die Nacht in Peking verbracht? Oder war es doch nur seine Schwester, Kim Yo-jong, die vor ein paar Wochen mit ihrem Ausflug zu den Olympischen Spielen nach Südkorea Aufsehen erregt hatte als Emissärin ihres Bruders? Die Südkoreaner tippten zunächst auf die Schwester, der stolze Kim, so die Einschätzung, hätte sich nicht nach Peking geschlichen, er hätte auf den großen Bahnhof gepocht. Die Nachrichtenagentur Bloomberg hingegen zitierte drei Quellen, die ihr Kim persönlich als Gast bestätigt hätten.

Es wäre eine kleine Sensation, zumal in der jetzigen Gemengelage: Kim hat die Bombe. Und er wird wohl bald Donald Trump treffen, den amtierenden US-Präsidenten. Als der junge Kim 2011 antrat, galt er als schwach, als Puppe anderer. Jetzt, sechs Jahre und einige brutale Säuberungen später, hat Kim Dinge vollbracht, die weder seinem Großvater noch seinem Vater gelungen waren: Er hat das Atomwaffenprogramm des Landes trotz der Isolierung, trotz all der Sanktionen erfolgreich vorangetrieben: Nordkorea besitzt heute gleich mehrere Atomsprengköpfe. Zudem hat das Land voraussichtlich bald die Raketen, auf die man die Sprengköpfe montieren kann und die amerikanisches Festland erreichen können.

Streng bewacht: In Peking waren die Sicherheitsvorkehrungen, hier entlang der Changan Avenue, wegen des Besuchs enorm erhöht worden. (Foto: Damir Sagolj/Reuters)

Und kürzlich fiel Kim der Hauptpreis in den Schoß, per Twitter ereilte ihn Trumps Zusage zu einem bilateralen Gipfel, voraussichtlich im Mai. Trump hat Kim das gegeben, was sich alle nordkoreanischen Herrscher seit dem Ende des Koreakrieges immer gewünscht hatten, was ihnen sämtliche US-Präsidenten aber kategorisch verweigerten: direkte bilaterale Verhandlungen mit den USA, einen Gipfel mit dem US-Präsidenten - und zwar zum Erstaunen aller Nordkorea-Experten des Westens ohne dass dafür irgendwelche Vorleistungen Nordkoreas ausgehandelt worden wären. Wenn Kim vor diesem Gipfel bei seinem einzigen Alliierten China vorbeischaut, in einem Land, über das etwa 90 Prozent des verbliebenen Außenhandels Nordkoreas abläuft, dann wäre das nur folgerichtig.

Vom offiziellen China gab es bis zum Abend keine Bestätigung. Aber das war auch früher nicht anders: Wenn Kim Jong-il, der Vater des heutigen Herrschers, Peking besucht hatte, dann erfuhr die Welt erst immer in dem Moment davon, wenn er die Grenze zu seinem Heimatland wieder überquert hatte. Kim Jong-il war, wie viele Autokraten, paranoid. Der junge Kim könnte es ebenfalls sein, wahrscheinlich zu Recht. Nach allem, was man weiß, hat er in den vergangenen Jahren zum Zwecke der Machtsicherung sowohl seinen Onkel als auch seinen Halbbruder umbringen lassen, die Zahl seiner Feinde im In- und im Ausland dürfte nicht gering sein.

Es war wohl auch einer der Züge aus dem Fuhrpark des Vaters, der in Peking einrollte. Die Kims und ihre Eisenbahnen, das ist eine kleine Liebesgeschichte. Der Großvater hatte während des Koreakrieges einst sein Hauptquartier in einem Zug, der Sohn bestieg aus Angst vor Anschlägen niemals ein Flugzeug und erledigte sämtliche Auslandsreisen in seinen Privatzügen, eingerichtet mit Empfangsräumen, Konferenzsälen und technisch offenbar bestens ausgestattet. Einer der wenigen Ausländer, die selbst einmal einen Kim-Zug besteigen durften, ist Konstantin Pulikowsky, der einst für Wladimir Putin den Fernen Osten des russischen Reiches verwaltete. In seinen Memoiren berichtete Pulikowsky nicht nur von lebenden Hummern und Kisten voller Bordeaux und rotem Burgunder, die Kim Jong-il in Sibirien habe zuladen lassen, er beschrieb auch die Unterhaltung an Bord. So habe es vier junge Sängerinnen gegeben, die ihm als "Schaffnerinnen" vorgestellt wurden. Angeblich ist Kim Jong-il auch in seinem Zug gestorben, aber das zweifeln manche an.

Wer war’s? In Südkorea – hier ein Bildschirm in einem Bahnhof in Seoul – wurde intensiv über den geheimnisvollen Besuch in Peking berichtet. (Foto: Jung Yeon-Je/AFP)

Wenn es der junge Kim denn war, der in dem Zug nach Peking kam, dann wäre die Reise nicht nur bemerkenswert, weil es sein staatsmännisches Debüt außerhalb Nordkoreas wäre - sondern auch wegen des zuletzt doch ziemlich zerrütteten Verhältnisses zum Nachbarn China. Pjöngjang nennt China zwar wegen des für das Regime lebenswichtigen Handels einen Alliierten, es herrscht aber längst keine Freundschaft mehr. Von 1950 bis 1953 hatte man im Koreakrieg gemeinsam die US-Truppen bekämpft, damals prägte Pekings Propaganda den Spruch, China und Nordkorea seien "so eng wie Lippen und Zähne". China aber war immer gegen die Atombewaffnung Nordkoreas, und seit dem Amtsantritt von Kim Jong-un und dessen zahllosen Provokationen waren die Beziehungen ziemlich eisig. Zuletzt hatte China deutlich mehr zur Umsetzung von UN-Sanktionen gegen Nordkorea beigetragen.

Der Großvater war in seinem Zug sogar bis nach Leipzig gefahren

China hat zwar immer wieder die USA und Nordkorea zu direkten Gesprächen miteinander aufgerufen. Bei den Entwicklungen der vergangenen Monate allerdings - der geplante Kim-Trump-Gipfel, Nordkoreas Charme-Offensive bei Olympia - sah es des Öfteren so aus, als sei China außen vor. Das kann der Führung in Peking nicht gefallen haben. China das Gefühl zu geben, es spiele eine Rolle, muss im Interesse Kims sein. Denn erstens war es eine bewährte Taktik auch seines Vaters, die Großmächte gegeneinander auszuspielen. Und zweitens ist angesichts der bisher dürftigen Vorbereitung des Gipfels mit Trump die Wahrscheinlichkeit groß, dass er scheitert. Für alles, was danach kommt, wird Nordkorea China wohl dringend brauchen.

Am Dienstagnachmittag um 3.40 Uhr verließ der Zug Pekings Bahnhof wieder. Wer sich mal einen der geheimnisvollen Waggons näher ansehen möchte, der kann das tun, als Tourist in Pjöngjang. Dort stellen sie die Züge aus, in denen Großvater und Vater einst reisten. Kim Il-sung liebte offenbar Plüsch und Rüschen, dazu eine japanische Stereo-Anlage, so ließ es sich reisen in den Achtzigerjahren. Mit dem Zug hatte der Alte es bis nach Europa gebracht: In Leipzig und Ost-Berlin rollte er damit ein. Dann der Zug von Kim Jong-il, der hier angeblich gestorben ist: das Herz. Auf dem Schreibtisch steht ein Laptop von Apple, daneben viel Papier, die Seiten tragen Kims Namenszeichen. Die letzte Anordnung, die er unterzeichnete: zu Neujahr Fisch für alle. Unter dem Tisch ein elektrisches Fußmassagebänkchen mit Plastiknoppen. Die Plateaustiefel, die Kim Jong-il so gerne trug, stehen in der Ecke.

© SZ vom 28.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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