China:Markt und Wahrheit

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Der Einbruch der Börsen zeigt: Markt und kommunistische Diktatur vertragen sich doch nicht so gut, wie viele im Westen bisher glauben wollten.

Von Nikolaus Piper

Niemand kann behaupten, die Krise sei nicht vorhergesagt worden. Die Probleme Chinas scheinen zwar einige Leute an den Weltbörsen überrascht zu haben, Kenner des Landes, Ökonomen ebenso wie Sinologen, sagen dagegen schon lange: Zweistellige Wachstumsraten wie in China kann es nicht ewig geben. Jeder Boom zieht irgendwann eine Rezession nach sich, niemand ist fehlerfrei, Spekulationsblasen und Fehlinvestitionen sind unvermeidlich. Das ist überall auf der Welt so.

Spezifisch chinesisch jedoch ist, dass die Experten - und auch die Führung in Peking - davon überzeugt waren, dass China exorbitantes Wachstum braucht, um seine inneren Probleme zuzudecken: den Gegensatz zwischen Stadt und Land, zwischen enormem Reichtum und bitterer Armut, zwischen Han-Chinesen und ethnischen Minderheiten. Folgt man dieser Logik, dann sind die jetzt erwarteten Wachstumsraten von weniger als sieben Prozent - im internationalen Vergleich beachtlich -, für das Regime inakzeptabel.

Was die Krise mit China machen wird, kann heute noch niemand sagen. Wohl aber werden und müssen sich die Erwartungen des Westens, und besonders Deutschlands, an China ändern. Bisher sind diese Erwartungen extrem widersprüchlich. Einerseits beklagen Wissenschaftler und Nichtregierungsorganisationen den Mangel an Demokratie und die zunehmende Repression seit dem Amtsantritt von Präsident Xi Jinping. Andererseits wissen alle, dass Deutschland einen erklecklichen Teil seines Wohlstands in China verdient. Volkswagen etwa verkauft ein Drittel seiner Autos dorthin.

Nun kann niemand einem Land vorschreiben, wie seine Regierung auszusehen hat, bloß weil er in dieses Land exportiert. Bei China geht es jedoch um mehr. Viele Politiker und Wirtschaftsführer hatten bisher ungewöhnlich viel Verständnis für ein Wirtschaftsmodell, bei dem die Märkte zwar einigermaßen frei sind, die "Kommandohöhen der Wirtschaft" (so nannte Lenin das) aber fest in den Händen der Kommunistischen Partei bleiben. China werde ohne Diktatur auseinanderfallen, sagen die einen. Andere verweisen darauf, dass in China - im Gegensatz zu Indien - die Infrastruktur funktioniert, was das Wirtschaften erleichtert. Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt sagte einmal, er halte den Glauben, dass China vorrangig die Demokratie einführen müsse, "für ziemlich lächerlich".

Diktatur und Markt vertragen sich eben doch nicht so leicht

Unter dem Eindruck des jüngsten Absturzes sollte man die Theorie, wonach die Kombination von Marktwirtschaft und kommunistischer Diktatur zumindest nicht schadet, noch einmal überdenken. Der Einbruch der Börse in Shanghai war für sich genommen bisher ja nicht schlimm. Zwar haben chinesische Aktien seit Juni 40 Prozent ihres Werts verloren, sie sind aber immer noch um 50 Prozent teurer als Anfang 2014. Die Korrektur war also überfällig. Viel wichtiger ist, was vorher geschah. Die chinesische Führung hatte versucht, schlechte Nachrichten über die Börse zu unterdrücken, um den Boom aufrechtzuerhalten. Aktienanalysten wurden bedrängt, bloß keine negativen Berichte zu schreiben, die Parteizeitungen machten Propaganda für Aktien.

Die ganzen Eingriffe in die Informationsfreiheit haben nichts geholfen, die Korrektur kam trotzdem. Aber der Vertrauensverlust ist eingetreten. Wenn Analysten nicht mehr nach der korrekten, sondern nach der politisch opportunen Analyse suchen, dann verlieren Märkte einen Teil ihrer Funktion. Inzwischen werden auch Wirtschaftsdaten infrage gestellt, wenn sie von der Regierung in Peking kommen. Sie könnten geschönt sein. Das gesamte chinesische Bankensystem steht ohnehin unter dem Generalverdacht mangelnder Solidität. Noch mehr Fragen kommen dazu: Wie kann Umweltschutz funktionieren, wenn die Zivilgesellschaft unterdrückt wird? Wie können sich die Arbeitsbedingungen bei Foxconn und anderen Zulieferern der westlichen IT-Industrie verlässlich ändern, wenn die Presse nicht schreiben darf, was sie will?

Der Wiedereintritt Chinas in die Weltwirtschaft nach mehr als 500 Jahren Pause ist ein epochales Ereignis. Daran hat sich nichts geändert. Das Land ist in atemberaubend kurzer Zeit zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt aufgestiegen. Jetzt muss diese Volkswirtschaft aber reifen, die unnatürlich hohe Abhängigkeit vom Export verringern, mehr Konsum zulassen. Bis jetzt gingen Manager im Westen meist davon aus, dass die chinesischen Kommunisten diesen Wandel souverän organisieren können, ohne Demokratie, ohne Meinungsfreiheit, ohne Ventile, über die sich der Volkszorn auf legale Weise entladen kann. Die jüngste Krise hat diesen Glauben erschüttert. Das muss nicht schlecht sein.

© SZ vom 27.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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