China:Im roten Bereich

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Die Stadt Jinan stellt Fußgänger bloß, die Ampeln ignorieren.

Von Christoph Giesen

Wer in China bei Rot über die Ampel geht und sich dabei erwischen lässt, muss gewöhnlich 20 Yuan Strafe zahlen. Das sind 2,60 Euro. Wer kein Geld hat, kann in manchen Orten alternativ als Verkehrslotse Dienst schieben. 20 Minuten reichen aus. In Jinan, der Hauptstadt, der Provinz Shandong ist das jetzt anders. Dort kommen Ampel-Ignoranten an den Pranger.

Die Jingshi Lu ist eine der Hauptverkehrsadern der Stadt. Wer hier bei Rot losläuft, wird gefilmt und fotografiert. 15 Sekunden, vier Aufnahmen. Mehr als 6000 Mal ist in den vergangenen Wochen die Kamera angesprungen. Selbst bei Nacht macht sie noch ordentliche Bilder.

Die Videos werden automatisch mit staatlichen Datenbanken abgeglichen. Ein Polizist schaut noch einmal drauf, dann erscheint das Foto des Rotsünders auf einem Bildschirm an der Kreuzung. Dazu der Name und die Anschrift. Die Polizei erwägt, die Fotos und persönlichen Daten auch beim Kurznachrichtendienst Weibo zu veröffentlichen - das ist Chinas Twitter. Außerdem soll künftig der Arbeitgeber informiert werden. "Seit die neue Technik eingeführt worden ist, haben sich die Fälle von 200 auf 20 am Tag reduziert", sagte ein Polizeisprecher der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua.

Gesichtserkennungssoftware ist in China sehr beliebt. Die Burgerkette KFC scannt seit Anfang des Jahres in Kooperation mit dem Suchmaschinenbetreiber Baidu die Gesichter ihrer Kunden in einer Filiale in Peking. Angeblich soll so ein maßgeschneidertes Angebot herauskommen. Für den kräftigen Mann Mitte 20 ein extra großes Menü mit Pommes Frittes, Hähnchenflügeln und natürlich einer eiskalten Cola. Für die Dame ab 50 eher Haferschleim und Sojamilch.

Auch auf dem Örtchen wird experimentiert. Im Vorraum von sechs Toiletten im Pekinger Himmelspark sind im Frühjahr Scanner installiert worden. Wer Klopapier möchte, muss sein Gesicht vorzeigen und bekommt dann 60 Zentimeter Papier zugeteilt. Wer einen Nachschlag braucht, muss neun Minuten warten.

Bis Ende des Monats will die Stadtregierung von Jinan Gesichtserkennungskameras an mindestens 50 Kreuzungen aufbauen. 100 000 Yuan (umgerechnet etwa 13 000 Euro) kostet das Equipment pro Straßenecke. Auch in den Provinzen Fujian, Jiangsu, Guangdong wird inzwischen gesichtserkennend gefilmt.

Der Grund für den Aufwand ist durchaus nachvollziehbar: In den vergangenen drei Jahren sind nach offizieller Zählung 3898 Fußgänger bei Unfällen an Kreuzungen gestorben. Aber wie steht es um den Datenschutz? Kritik kontert die Polizei in Jinan so: Auf den Bildschirmen seien nur Erwachsene zu sehen, vollständige Ausweisnummern blende man nicht ein.

Aus Peking ist kein Widerspruch zu erwarten. Die Regierung arbeitet eifrig am "gläsernen Chinesen". In Shanghai zum Beispiel wird bereits eine App mit Daten aus knapp 100 Behörden gespeist. Diese errechnet dann, wie ehrlich und heimatverbunden ein Bürger ist. Wer viele Punkte hat, bekommt schneller einen Termin auf dem Amt. Noch ist das alles freiwillig. Die Bußen für unpatriotisches Betragen stehen aber schon fest: Wer schlecht abschneidet, dem können künftig Fahrten im Schnellzug oder Inlandsflüge verwehrt werden.

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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