China:Guter Mao, schlechter Mao

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Dieses chinesische Propagandaposter zeigt den "Großen Vorsitzenden" Mao Zedong am 16. Juli 1966 nach dem Schwimmen im Jangtse-Fluss. (Foto: Bildarchiv Probst)

Vor 50 Jahren begann in China die Kulturrevolution. Eine pompöse Propaganda-Show zu ihren Ehren bescherte dem Land nun eine ungewollt offene Debatte.

Von Kai Strittmatter, Peking

Mao Zedong ist jetzt auch schon eine Weile tot. Aber vergessen ist er nicht. Mehr noch: Seine Ideen und sein Erbe haben noch immer Sprengkraft in einer Partei und in einer Nation, die sich noch nicht wirklich entschieden haben, wie sie zu dem Mann stehen sollen, dem sie ihre Volksrepublik verdanken, der das Land aber auch mit Leid und Tod überzogen hat wie kein anderer. Nur wenige Schritte von seinem Mausoleum auf dem Platz des Himmlischen Friedens liegt die Große Halle des Volkes. Hier tagt Chinas Parlament, hier empfangen die starken Männer des Landes ausländischen Staatsbesuch. Und hier huldigte eine Galaveranstaltung am 2. Mai einen ganzen Abend lang der "Sonne, deren Strahlen nie versiegen". Also Mao Zedong und seinen Doktrinen.

Umgerechnet fast 60 Euro kosteten die billigsten Plätze, dafür durfte man einen Abend voller Nostalgie und Ideologie erleben, eine Vorstellung, die, in den Worten der Veranstalter - darunter das "Propaganda- und Erziehungsamt für Sozialistische Kernwerte des Zentralen Propagandabüros" - "in seiner Rechtschaffenheit das Blut des chinesischen Volkes zum Kochen bringen" sollte. Tatsächlich kochten am Ende nicht wenige, aber da waren die Veranstalter schon abgetaucht, weil ihnen ihre Gala um die Ohren geflogen war. Und mit einem Mal war dem Land, für ein paar Tage wenigstens, eine völlig überraschende Debatte geschenkt über eine der heikelsten Perioden der jüngeren Geschichte. Genau das, was die KP um jeden Preis hatte vermeiden wollen.

Offiziell war die Politik des Großen Vorsitzenden "zu 7 Teilen gut, zu 3 Teilen schlecht"

Das konnten die Teilnehmer selbst an dem Abend noch kaum ahnen, am allerwenigsten wohl jene 56 junge Mädchen, die ein findiger Chorleiter im vergangenen Jahr erst zu Chinas jüngster Agitprop-Girl-Group zusammengestellt hatte. Die "56 Blumen" nun traten in Peking an, das Publikum mit mehr als 30 "roten Liedern" zu erfreuen - damit sind jene zumeist revolutionären und patriotischen Gassenhauer gemeint, deren Klänge zu Zeiten Maos durchs ganze Land schallten. Einer der Höhepunkte war der Vortrag von "Wenn wir die Meere durchqueren, dann verlassen wir uns auf den Steuermann", eine vor allem während der Kulturrevolution gern gesungene Hymne auf Mao. Eine Videoleinwand zeigte den strahlenden Mao umkränzt von Sonnenstrahlen. Später sah man auf der Leinwand den jetzigen Parteichef Xi Jinping, wie er bei einer Inspektionstour Bauern grüßte, die dadurch augenscheinlich in Ekstase verfielen.

Warum das alles nach hinten losging? Weil die Gala der Maofreunde im Herzen der Macht ausgerechnet am Vorabend eines heiklen Jahrestages stattfand: Am 16. Mai jährt sich zum 50. Mal der Startschuss zu der von Mao losgetretenen Kulturrevolution, die China für ein ganzes Jahrzehnt ins Chaos stürzte und das Volk in einen Sturm von Raserei und Gewalt verstrickte. Und weil die Parteiführung um Xi Jinping von der erbaulichen Veranstaltung offenbar nichts gewusst hatte.

Der Schlagabtausch ging los mit einem offenen Brief von Ma Xiaoli. Ma ist - wie Xi Jinping - eine Angehörige der roten Aristokratie, Tochter des früheren Arbeitsministers Ma Wenrui. Ihr Vater war, wie auch Xi Jinpings Vater, in der Kulturrevolution Zielscheibe böser Attacken von Rotgardisten und Opfer der Säuberungswelle, die Familie hatte schwer gelitten. Ma Xiaoli nannte das Konzert in ihrem Brief an die Parteiführung auf dem Nachrichtendienst Wechat eine Verherrlichung und "Wiederauflage" der "großen Katastrophe" Kulturrevolution, und beschuldigte die Organisatoren schwerer Verstöße gegen die Parteidisziplin. Schließlich hatte die KP 1981 offiziell die Kulturrevolution verurteilt und sie die "10 Jahre Chaos" getauft. Der Politik des Großen Vorsitzenden Mao wurde damals, ebenfalls in einem offiziellen KP-Verdikt, attestiert, sie sei "zu 7 Teilen gut und zu 3 Teilen schlecht" gewesen. Mao hatte in der Kulturrevolution die ihm bedingungslos ergebene Jugend des Landes gegen die eigenen Eltern und Lehrer, vor allem aber gegen die Parteibürokratie gehetzt, gegen die Rivalen in der Parteiführung. Am Ende waren wahrscheinlich mehr als eine Million Menschen tot, und einem ganzen Volk war das Rückgrat gebrochen.

Das hält schon seit vielen Jahren eine lautstarke Gruppe von antiwestlichen und antikapitalistischen Ideologen am linken Rand der Partei nicht ab, ihr Heil weiter im Erbe Maos zu suchen. Es ist die Nostalgie nach einer Zeit, in der, so die Legende, die Partei noch rein war, das Volk unverdorben und die Gesellschaft noch egalitär. Bestätigt fühlten sich die Neomaoisten durch die wuchernde Korruption, und das rapide angestiegene Wohlstandsgefälle - ein Bericht des Internationalen Währungsfonds nannte China im letzten Jahr "eines der ungleichsten Länder der Welt". Selbst das grausame Spektakel der Kulturrevolution gilt vielen aus dieser Gruppe noch heute ein Geniestreich Maos. In der Stadt Xi'an trafen sich Anfang dieser Woche Vertreter der Linken, um auf einem Symposion die Kulturrevolution - "dieses in der Menschheitsgeschichte beispiellose Monument der Größe" - zum 50. Jahrestag hochleben zu lassen. Auch beklagten sie sich bitter über 30 Jahre Reform- und Öffnungspolitik, welche "China wieder in den kapitalistischen Abgrund"gezogen habe. In Peking holte derweil der Autor Zhang Hongliang, einer der Ideologen der Neomaoisten, zum Gegenschlag gegen die Gala-Kritikerin Ma Xiaoli aus, deren Brief in den sozialen Medien heiß debattiert wurde. Er schimpfte die Kritiker "Verräter". Jeder, der die Kulturrevolution in ein schlechtes Licht ziehe, mache sich zum Handlanger der USA und deren Plänen "zur Auslöschung der chinesischen Nation".

Viele Chinesen fühlen sich wirtschaftlich abgehängt, und der Parteichef setzt auf Ideologie

Für die KP-Führung kam der Eklat zur Unzeit. Offene Debatten über historische Katastrophen mit KP-Beteiligung sind in China tabu. Parteichef Xi ist besessen vom Streben nach dem, was er für Stabilität hält, mit kulturrevolutionärem Chaos hat Xi gewiss nichts am Hut. Dennoch flirtet er offen mit der Rhetorik und den Symbolen Maos wie kein Führer vor ihm. Aus Maos Erbe pickt sich Xi das heraus, was er für seine Propaganda von nationaler Stärke und Reinheit der KP gebrauchen kann. Gleichzeitig weiß er, dass die wachsenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten und die Ungleichheit im Land dem Populismus der neuen Maoisten in die Hände spielen: Viele Chinesen fühlen sich abgehängt vom Wirtschaftswunder. Xi reagiert mit seiner eigenen ideologischen Offensive, geht hart gegen Andersdenkende vor, befiehlt die Säuberung der Schulen und Universitäten von liberalen Ideen und verordnet allen KP-Mitgliedern marxistischen Drill. Nein, die Neomaoisten sind nicht die Parteigänger Xis, aber sie segeln in seinem Windschatten, hetzen in seinem Namen gegen die Liberalen im Land.

Dass Xi jedoch keinesfalls hinter der Mao-Gala stand, wurde spätestens dann klar, als die Verantwortlichen für die Halle des Volkes wenige Tage nach der ersten Aufregung vor die Presse traten und zerknirscht zu Protokoll gaben, sie seien von den Veranstaltern des Konzerts "betrogen" worden. Die dann folgende Erklärung ließ Beobachtern die Münder offenstehen: Das mitveranstaltende "Propaganda- und Erziehungsamt für Sozialistische Kernwerte des Zentralen Propagandabüros" gebe es nämlich gar nicht, das sei eine Erfindung. Die Enthüllung aber wirft mehr Fragen auf als sie beantwortet. Wer steckt dann hinter dem Kulturrevolutions-Revival? Wer in die Große Halle des Volkes will, braucht schließlich Beziehungen in höchste Etagen. Und was ist das für ein Land, in dem Ämter mit solchen Namensungetümen nicht das geringste Misstrauen erregen, weil sie das normalste der Welt sind?

© SZ vom 13.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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