China:Grenzenlos

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Pekings Sicherheitsapparat lässt mehrere Taiwaner in Kenia festnehmen und nach China überführen. Hinter dieser Eskalation steckt eine neue Strategie gegenüber dem Nachbarland.

Von Kai Strittmatter

Vor Chinas Sicherheitsapparat scheint mittlerweile keiner mehr sicher zu sein, den er im Visier hat, nirgendwo. Es hilft nicht mehr, wenn einer sich außerhalb der Grenzen Chinas aufhält; es hilft auch nicht mehr, wenn er gar nicht Bürger der Volksrepublik ist. Zuletzt musste das der Hongkonger Verleger Gui Minhai feststellen, ein schwedischer Staatsbürger, der aus seinem Haus in Thailand verschwand, um dann in den Händen der chinesischen Polizei wieder aufzutauchen. Diese Woche nun erwischte es 45 Taiwaner. Auf einem anderen Kontinent: Sie wurden von der Polizei in Kenia in zwei Flugzeuge nach China gezwungen, wo sie nun im Gefängnis sitzen.

Chinas Regierung sagt nun, sie werde den Taiwanern den Prozess machen und sie habe jedes Recht dazu. Die Gefangenen seien Teil einer Bande gewesen, die sich von Nairobi aus mit Telefonbetrug Milliarden Yuan erschlichen habe. Die meisten Opfer seien Bürger Chinas gewesen. In Taiwan ist das Entsetzen gleichwohl groß. Parlamentsabgeordnete dort sprachen von "illegalem Kidnapping", ein Minister nannte die Deportierung seiner Landsleute nach China "unverschämt und unzivilisiert". China bedankte sich bei den kenianischen Behörden für deren Unterstützung des "Ein-China-Prinzips".

Es geht hier längst nicht bloß um juristische Fragen. Obwohl Kenia und China auch an dieser Front grob fahrlässig handelten: 15 der 45 deportierten Taiwaner waren zuvor von einem kenianischen Gericht schon freigesprochen worden. Mit der Berufung auf das Ein-China-Prinzip in diesem Fall aber nimmt die Volksrepublik China mit einem Mal für sich in Anspruch, die Heimat aller Taiwaner zu sein und juristisch über sie verfügen zu dürfen. Das schockiert die Taiwaner, und nicht bloß, weil sie China nicht für einen Staat halten, in dem einer mit einem fairen Prozess rechnen darf. In den vergangenen acht Jahren hatte Taiwans Präsident Ma Ying-jeou eine beispiellose Annäherung der Insel an Festlandchina eingeleitet. Politische Leitlinie war dabei der "Konsensus von 1992", demzufolge Taiwan und die Volksrepublik beide anerkennen, dass es nur "ein China" gebe - der gleichzeitig beiden Seiten aber ihre ganz eigene Interpretation gestattet. De facto sind Taiwan und die Volksrepublik seit dem Ende des Bürgerkrieges 1949 unabhängige Staaten.

Es ist wohl kein Zufall, dass Peking gerade jetzt eine solche Eskalation im Verhältnis zu Taiwan wagt: Der chinafreundliche Präsident Ma Ying-jeou tritt ab, in einem Monat wird in Taipeh die neue Präsidentin Tsai Ying-wen eingeschworen, die eine größere Distanz zu Peking angekündigt hat. Peking hat sich mit seinen taiwanischen Gefangenen gleich einmal Verhandlungsmasse gesichert. Der Effekt auf Taiwan ist jedoch verheerend. Die Taiwaner fühlen sich in ihrem wachsenden Misstrauen gegenüber China bestätigt: Sie verweisen auf ein Abkommen zur Verbrechensbekämpfung zwischen Peking und Taipeh von 2009, das exakt für solche Fälle wie den in Kenia geschaffen worden ist. Pekings Wort sei nichts wert, heißt es nun auf der Insel. In Peking mahnte derweil der Sprecher des Amtes für Taiwanangelegenheiten, Taiwan solle "rationaler" reagieren und "mehr an die Opfer denken".

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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