China:Entführung aus dem Zugabteil

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Chinas Sicherheitskräfte verschleppen einen schwedischen Staatsbürger zum zweiten Mal binnen weniger Jahre und vor den Augen von Diplomaten. Stockholm ist besorgt - und rätselt, was Peking mit der Aktion bezweckt.

Von Kai Strittmatter, Peking

Ein wenig ist es so, als habe ein wüster Thriller eine schlechte Fortsetzung bekommen. Gui Minhai, ein bis dahin eher unauffälliger Hongkonger Verleger und Buchhändler, hat vor etwas mehr als zwei Jahren schon einmal im Mittelpunkt internationaler Schlagzeilen gestanden: Im Oktober 2015 verschwand er aus seiner Wohnung im thailändischen Ferienort Pattaya - und tauchte wenig später im Gewahrsam der chinesischen Polizei wieder auf. "Gekidnappt", wie seine Tochter Angela Gui sofort vermutete, von chinesischen Agenten.

Gui war damals einer von fünf Buchhändlern, die über Nacht verschwanden, sie alle waren Kollegen bei "Causeway Bay Books". Aber sein Fall war besonders: Gui Minhai ist schwedischer Staatsbürger. Ein Schwede, der aus Thailand verschwindet und sich dann in chinesischen Gefängnissen wiederfindet - einen solchen Zugriff außerhalb der Grenzen gegen den Bürger eines anderen Landes hatten Chinas Behörden zuvor nicht gewagt.

Nun ist es ihm ein zweites Mal widerfahren. Erneut wurde Gui Minhai - zwischenzeitlich aus der Haft entlassen - von chinesischen Beamten verschleppt. Das Ganze ereignete sich am Samstag in China, unweit von Peking. Diesmal aber fröstelt nicht nur Hongkong, diesmal reagieren sie auch in Europa schockiert. Der Vorfall vom Samstag ist dabei, sich zu einer diplomatischen Affäre auszuweiten. Gui Minhai war unterwegs im Zug nach Peking, in Begleitung zweier schwedischer Diplomaten. Seine Tochter erzählte dem schwedischen Radio hernach, ihr Vater sei unterwegs gewesen zu einer medizinischen Untersuchung in der Hauptstadt. Offenbar leidet Gui seit Kurzem an Amyotropher Lateralsklerose, ALS, einer Nervenkrankheit, die Gehirn und Rückenmark angreift und zum Tode führt. Zehn chinesische Sicherheitsbeamte hätten das Abteil gestürmt, erzählte Guis in London lebende Tochter, und hätten ihren Vater vor den Augen der Diplomaten abgeführt. "Ich denke, es ist klar, dass er erneut entführt wurde und dass er an einem geheimen Ort festgehalten wird", sagte Angela Gui dem Sender Radio Sweden.

Schwedens Regierung begleitete Gui lange mit stiller Diplomatie. Die Zurückhaltung ist nun vorbei

Die schwedische Regierung hatte den Fall des Buchhändlers in den vergangenen zwei Jahren nach eigener Auskunft "im Interesse Guis" mit stiller Diplomatie begleitet. Nun aber scheint es vorbei zu sein mit der Zurückhaltung. Am Montag wurde Guis Schicksal öffentlich, am Dienstag berief die Regierung in Stockholm den chinesischen Botschafter ein. Und Außenministerin Margot Wallström teilte mit, man wisse "im Detail", was am Samstag vorgefallen sei, und arbeite "rund um die Uhr" an dem Fall. "Die Lage hat sich seit Samstag verschlechtert", sagte sie noch. Beobachter werten das als Hinweis, dass sich anfängliche Hoffnungen, es könne sich um eine Aktion niederer Sicherheitskräfte handeln, zerschlagen haben. Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Hua Chunying, schien am Dienstag anzudeuten, Gui habe durch sein Treffen mit den schwedischen Diplomaten das Gesetz gebrochen. "Alle Ausländer in China, einschließlich der Diplomaten in den Konsulaten und Botschaften in China, sollten weder gegen internationales noch gegen chinesisches Recht verstoßen", sagte sie. Auf Nachfrage gab sie allerdings keine Antwort, welches Gesetz Gui verletzt haben soll.

"Ich bin verblüfft", sagt Peter Dahlin, ein schwedischer Chinakenner und Bürgerrechtler, der Anfang 2016 selbst wegen seiner Arbeit für eine Rechtsberatungs-NGO drei Wochen in einem chinesischen Gefängnis saß. "Das scheint tatsächlich eine von höheren Ebenen mit politischem Rückhalt koordinierte Aktion gewesen zu sein. Aber mit welchen Ziel? Wollten sie ein Signal aussenden? Aber welches?" Dahlin schätzt das Ganze als "massiven taktischen und strategischen Fehler Chinas" ein, vermutet zunehmende "Hybris" der chinesischen Führung als Faktor. "Sie zwingen Schweden jetzt zum Handeln." Vielleicht werde nun auch die EU einbezogen. "Gibt es irgendetwas, mit dem China nicht durchkommt?", fragte die schwedische Zeitung Boras Tidning in einem Kommentar. Das Erschreckendste sei nicht einmal die Tatsache, dass Gui erneut festgenommen worden sei, "sondern die Arroganz, die China mit der Art und Weise der Festnahme der Welt gegenüber zur Schau stellt." Die Anwesenheit der schwedischen Diplomaten sei Peking schlicht egal gewesen. Peter Dahlin glaubt, dass China diesmal zu weit gegangen sei. "Die KP schadet damit ihren eigenen Interessen. Jahrelang hat ihre Propaganda vom 'friedlichen Aufstieg' Chinas geredet. Aber nun wachen mehr und mehr Länder auf: Sie sehen ein China, das schikaniert und einschüchtert, keinen verantwortlich handelnden internationalen Akteur."

Verurteilt wurde Gui nicht wegen seines Buchverlages, sondern wegen eines Verkehrsunfalls

Gui Minhai wurde in China geboren. Nach dem Massaker am Tiananmenplatz 1989 hatte er in Schweden Exil gefunden, wo er sich zum Studium aufhielt, später lebte er auch eine Zeit in Deutschland. Er und seine Hongkonger Kollegen waren nie klassische Dissidenten, auch deshalb hatte ihre Entführung vor zwei Jahren schon für Verblüffung gesorgt. Ihr Verlag und Buchladen in Hongkong macht Geld mit echten und vermeintlichen Enthüllungsbüchern über die Pekinger Elite: Das war oft recht hastig zusammengeschusterte Sensationsliteratur, sehr beliebt bei chinesischen Touristen. Das Pekinger Propagandablatt Global Times warf den Büchern damals vor, sie seien "bösartig fabriziert", schürten die Gerüchteküche und gefährdeten so die "Harmonie und Stabilität" der chinesischen Gesellschaft.

Verurteilt worden war Gui jedoch nach seiner Entführung nicht wegen der Bücher, sondern wegen eines viele Jahre zurückliegenden Verkehrsunfalles, bei dem ein Mädchen gestorben war. Im Oktober vergangenen Jahres dann hatte es geheißen, Gui sei wieder frei - allerdings bekam ihn niemand zu Gesicht, und auch seine in England studierende Tochter durfte ihn nicht besuchen. Er lebte zuletzt offenbar im ostchinesischen Ningbo, von wo aus er gelegentlich ins schwedische Konsulat nach Shanghai reiste.

© SZ vom 24.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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